22.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Familie haust drei Monate im VW

Vier Töchter nach Odyssee im Kinderheim - Vater sitzt in Untersuchungshaft

Von Christian Althoff
Horn-Bad Meinberg (WB). Auf der Flucht vor Behörden hat eine sechsköpfige Familie mehr als drei Monate in einem VW Bora gehaust.

Nachdem sich ihre Spur im September im Kreis Lippe verloren hatte (wir berichteten), wurden Vater, Mutter und vier Töchter jetzt in Landshut (Bayern) aufgegriffen. »Alle sind wohlauf«, sagte gestern eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Oberbayern.
Die Familie stammt aus dem niederländischen Ort Zeist. Dort hatte ein Richter dem Fahrlehrer Henk Kas (51) und seiner Frau Ineke (46) bereits zwei Söhne wegnehmen lassen, weil ihnen die Verwahrlosung gedroht haben soll. Als das Jugendamt wegen mangelnder Hygiene auch die vier Töchter im Alter zwischen zehn und 15 Jahren in Obhut nehmen wollte, flohen die Eltern mit den Mädchen am 11. August in einem VW-Leihwagen.
Zuletzt war die Familie am 21. September in Ostwestfalen-Lippe gesehen worden. Auf dem Suchplakat wird Bielefeld als Ort angegeben, tatsächlich jedoch campierten die sechs in einer Grillhütte in Horn-Bad Meinberg. Sie holten Wasser vom Campingplatz Eggewald und ernährten sich von rohem Kohl, wie Zeugen berichteten. Als Polizisten auf die Familie aufmerksam wurden, waren die sechs schon wieder verschwunden - bis jetzt: Einem Jogger war in der vergangenen Woche in einem Wald bei Landshut der VW mit niederländischem Kennzeichen aufgefallen. Der Mann hatte die Polizei gerufen, die Henk Kas aufgrund eines internationalen Haftbefehles festnahm und sich um Frau und die Kinder kümmerte.
Polizeisprecher Thomas Aling aus Utrecht: »Die Familie hatte mehr als 14 Wochen in dem VW gehaust. Die drei älteren Mädchen schliefen auf dem Rücksitz, das jüngste Kind musste vorne zwischen den Eltern auf der Handbremse liegen.« Die Mädchen seien fürchterlich verdreckt, aber körperlich unversehrt gewesen: »Die haben gestrahlt, als die bayerische Polizei sie in einem Gasthof untergebracht hat und sie nach Monaten wieder in einem richtigen Bett liegen konnten«, schmunzelte der Polizist.
Auf dem Rückweg mit einem Streifenwagen in die Niederlande hätten die Mädchen an einem Autobahnrasthof etliche Käsebrötchen verdrückt. »Eltern und Kinder hatten zuletzt vor allem von Getreide gelebt, das sie sich offenbar aus Scheunen geholt hatten. Sie weichten die Körner über Nacht in Coladosen voll Wasser ein und aßen das gequollene Getreide zum Frühstück.« Auch rohe Zwiebeln hätten die sechs regelmäßig gegessen: »Sie hatten ja keine Möglichkeit zum Kochen.«
Die vier Mädchen sind jetzt in zwei Kinderheimen untergebracht, ein Richter hat der Mutter jeder Kontakt zu ihnen untersagt. Henk Kas soll der Prozess gemacht werden, weil er vor seiner Flucht den Gashahn im Haus der Familie aufgedreht hatte - möglicherweise in er Absicht, eine Explosion auszulösen. Außerdem werden ihm mehr als 20 Diebstähle und die Unterschlagung des Leihwagens zur Last gelegt.
»Wir sind froh, dass die Odyssee für die Kinder ein glückliches Ende gefunden hat«, sagte Polizeisprecher Thomas Arling.

Artikel vom 22.11.2005