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Scharon stürzt Israel in die Krise

Parlament löst sich auf - Ministerpräsident tritt mit neuer Partei an

Jerusalem (dpa). Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hat nach mehr als drei Jahrzehnten seinen Likud-Block verlassen, um an der Spitze einer neuen Partei bei vorgezogenen Wahlen anzutreten.
Das israelische Parlament sprach sich hat gestern für seine Auflösung ge-stimmt. Die Parlamentarier folgten damit einem Aufruf von Scharon und dem Vorsitzenden der Arbeitspartei, Amir Perez, die Neuwahlen wollen.
Anschließend sagte Scharon Gefolgsleuten bei einem ersten Treffen seiner neuen Partei »Nationale Verantwortung«, politisches Programm sei der internationale Nahost-Friedensplan (Road Map).
Präsident Mosche Katzav sprach sich für rasche Neuwahlen aus. »Unter den gegenwärtigen Umständen halte ich es für das Beste, so schnell wie möglich Wahlen abzuhalten.« Scharon und Perez hatten sich vergangene Woche für vorgezogene Wahlen im März kommenden Jahres ausgesprochen.
Politische Beobachter rechnen nach Scharons Schritt mit einer Neuordnung der politischen Landkarte in Israel. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass ein regierender Ministerpräsident aus seiner eigenen Partei austritt.
Hintergrund von Scharons Entscheidung ist massiver interner Widerstand von mehreren »Rebellen« im Likud, die sich gegen seinen Abzug aus dem Gazastreifen gestellt hatten. Etwa ein Dutzend Likud-Abgeordnete, darunter auch mehrere Minister, wollten sich Scharon anschließen. Gegner Scharons bemühten sich gestern, eine Mehrheit von 61 Abgeordneten zusammenzubekommen, um eine alternative Koalition zu bilden.
An der ersten Sitzung von Scharons neuer Partei nahmen mehrere Minister der scheidenden Regierung teil. Darunter waren Finanzminister Ehud Olmert, Justizministerin Zippi Livni, Tourismusminister Avraham Hirschson und Sicherheitsminister Gideon Esra. »Wir stehen vor einem harten Wahlkampf«, sagte Scharon.
Scharon hatte dem Vorsitzenden des Likud-Zentralkomitees, Zachi Hanegbi, zuvor in einem Schreiben sein Ausscheiden mitgeteilt. Hanegbi soll Scharons Amt übernehmen, bis die Partei einen neuen Vorsitzenden wählt. Scharons Gegner im Likud begrüßten seinen Schritt. »Die Korruption hat den Likud verlassen«, sagte sein Rivale Uzi Landau. Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Perez, warnte seine Mitglieder vor einem Eintritt in Scharons neue Partei. »Ich rufe alle Parteimitglieder auf, sich nicht auf Abenteuer einzulassen. Die Arbeitspartei ist Heimat für alle«, sagte er.
Die EU-Außenminister haben die Entsendung von bis zu 70 Beobachtern an den Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten beschlossen. Sie sollen eine »aktive Beobachterrolle« übernehmen, sagte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner gestern in Brüssel. »Sie sollen den Israelis Vertrauen geben, dass ihre Sicherheit gewährleistet ist«, sagte sie.
Bei der Beobachtermission, die vom italienischen Carabinieri-General Pietro Pistolese geleitet werden soll, handelt es sich um den ersten Sicherheitseinsatz der EU im Nahen Osten. Die EU-Beobachter sollen an dem Grenzübergang nicht selbst kontrollieren. Es sei Sache der Palästinenser, dafür zu sorgen, dass keine Terroristen über diesen Übergang in den Gaza-Streifen kämen.
Israel und die Palästinenserbehörde hatten in der vergangenen Woche um die Beobachtung der Grenzkontrollen durch die EU gebeten. Der Einsatz ist zunächst auf drei Jahre angelegt.
Bei einem Gefecht an der libanesisch-israelischen Grenze sind gestern fünf Menschen getötet worden. Dem israelischen Rettungsdienst Zaka zufolge wurden vier Kämpfer der südlibanesischen Miliz Hisbollah sowie ein israelischer Soldat erschossen. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 22.11.2005