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Die Schlote qualmen - aber wo?

Ernst Sagewka im Selbstporträt (Kunsthalle). Großneffe Rolf Sagewka ehrt seinen Ahnen unter www.sagewka.de im Internet.

Unbekannter Böckstiegel und ein rätselhafter Sagewka unter dem Hammer

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Ein bislang unbekanntes Gemälde von Peter August Böckstiegel und ein heimatgeschichtlich interessantes Bild von Ernst Sagewka kommen jetzt unter den Hammer. Die Werke der beiden Bielefelder Künstler werden Anfang Dezember in Köln bzw. München versteigert.

Unsere Leser, denen das Stadtbild älterer Tage noch vertraut ist, können sich unschätzbare Verdienste um die Kunstgeschichte erwerben: Welches Bielefelder Firmengelände hat Ernst Sagewka (1883-1959) hier im Jahr 1919 verewigt? Die Angaben auf dem 69 mal 97 Zentimeter großen Werk nämlich lassen alle Fragen offen - außer den Vermerken »Bielefeld« und »Industrie« gibt uns der Künstler leider keine Hinweise auf sein expressives Motiv.
Sagewkas Ölbild mit rauchenden Schloten und zwei auf einer Halde schuftenden Arbeitern wird am 5. Dezember im Münchener Auktionshaus Ketterer versteigert. Das Objekt (Lot: 73) könnte bei den »Seitenwegen der deutschen Avantgarde« (Auktionstitel) 2500 bis 3500 Euro bringen. Im Internet finden sich allerdings mittlerweile Preisvorstellungen, die über diese Summe hinausgehen.
Sagewka, dessen Nachfahren noch in Bielefeld leben, stammte aus Nikolaihorst (Kreis Sensburg) im ostpreußischen Masuren und kam mit der Familie 1892 nach Dornberg, wo er bei einem Kirchenmaler in die Lehre ging. Seit 1904 erhielt Sagewka Unterricht bei Ludwig Godewols und nahm drei Jahre später das Studium an der Bielefelder Handwerker- und Kunstgewerbeschule (Vorläufer der Fachhochschule) auf. Hier zählte, neben Godewols, der kaum minder geschätzte Hans Perathoner zu seinen Lehrern.
Obwohl Sagewka den Ersten Weltkrieg als Soldat in Polen und Frankreich mitmachte, blieb ihm später das Schicksal seiner Weggefährten des Expressionismus' nicht erspart: Die Werke des in zahlreichen Ausstellungen gefeierten Wahlbielefelders wurden in der NS-Zeit als entartet gebrandmarkt; aus dem Städtischen Kunsthaus (Vorläufer der Kunsthalle) beschlagnahmte man die Bilder »An der Windwehe« und »Herbstwald«. Im Bombenhagel verbrannten weitere Arbeiten.
Noch vor der Währungsreform gelang der Wiederaufbau des Ateliers aus den Trümmern des zerstörten Hauses. Die vorerst letzte Ausstellung widmete das Kulturhistorische Museum (1982/83) Sagewka anlässlich seines 100. Geburtstages.
Auch wenn dank der Forschungen Vita von Wedels das ĂŽuvre Peter August Böckstiegels (1883-1951) gut bekannt ist, erlebt die Kunstgeschichte immer noch manche Überraschung. Als eine solche gilt die Entdeckung eines »Stillebens mit Sonnenblumen«, das im Sommer 1924 entstand - in der fruchtbarsten Schaffensperiode des in Arrode bei Werther beheimateten Künstlers.
Das 106 mal 95 Zentimeter große kontrastreiche Ölbild verrät Böckstiegels Affinität zu van Goghs Motiven - seinen eigenen Sohn taufte er Vincent. Ein Hahn, zwei Hühner und ein Paar Holzschuhe (in Pantinen war Böckstiegel tagaus, tagein zum Studium in die Kunstgewerbeschule marschiert) machen die Nähe zum bäuerlichen Milieu deutlich, in dem der Künstler verwurzelt blieb.
Die »Sonnenblumen« gelangten früh in den Besitz des Bildhauers Karel Niestrath (1896-1971) und wurden familienintern weitervererbt, so dass es der Böckstiegel-Forschung unbekannt blieb. Am 3. Dezember soll das Stilleben (Lot: 636) im Kölner Kunsthaus Lempertz versteigert werden; man erhofft sich Gebote von 30 000 bis 35 000 Euro.

Artikel vom 22.11.2005