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Bayerns gutes Gespür für die Pointe

1:2 nach 1:0 - Arminia Bielefeld sendet an die Antenne des Meisters die falschen Signale

Von Dirk Schuster
Bielefeld (WB). Als sich die Torwarte Mathias Hain und Oliver Kahn nach Spielschluss in der Platzmitte begegneten und in die Augen sahen, »mussten wir beide ein bisschen lachen«, sagte der Bielefelder Hain und begründete: »Wahrscheinlich, weil wir dasselbe gedacht haben: Das sind eben die Bayern.« Eine bessere Erklärung für das Zustandekommen deren 2:1-Sieges in der SchücoArena ließ sich weit und breit nicht finden.
So hatte sich Alexa ihren ersten Besuch in der Bielefelder SchücoArena nicht vorgestellt. Traurig schmiegt sich die Sechsjährige an ihre Mama, sucht Trost. Doch auch Marion Wöhrmann fällt es schwer, nach der bitteren Niederlage die richtigen Worte zu finden. Foto: Bernhard Pierel

Hain sprach von Nuancen, die entscheidend gewesen seien. »Und für diese Nuancen hat Bayern eine Antenne«, formulierte der DSC-Kapitän zwar nicht ehrfurchts-, aber sehr respektvoll und reihte sich nicht ein in die Schlange derer, die mit »wieder die Dusel-Bayern«- oder »die haben doch nur Glück«-Begründungen versuchten, Münchens Erfolg zu schmälern.
Klar lässt sich auch ein wenig Glück nicht wegdiskutieren, wenn der Siegtreffer in der zweiten Minute der Nachspielzeit und vor allem auch nur deshalb fällt, weil Arminia-Verteidiger Heiko Westermann in dieser Szene dessen einziger Fehler im ganzen Spiel unterläuft. Doch genauso wenig ist die unheimliche Klasse, mit der Bayern-Stürmer Claudio Pizarro den keineswegs leicht zu nehmenden Abpraller aus elf Metern mitten ins Arminia-Tor platziert, wegzudiskutieren.
Und wirklich zufällig fiel das Siegtor ja auch nicht. Denn zwar nicht alle, aber doch einige Bayern wollten sich mit dem obwohl schon schmeichelhaften 1:1 partout nicht zufrieden geben und sorgten dafür, dass »wir immer tiefer hinten rein kamen«, wie Bielefelds Verteidiger Bernd Korzynietz analysierte. In Einwechselspieler Paolo Guerrero und Torschütze Pizarro kochte, nachdem sie in der 82. Minute schon das Ausgleichstor inszeniert hatten, jetzt das Stürmerblut. Guerrero (21) hängte vor dem 1:1 seinen elf Jahre älteren Gegenspieler Marcio Borges im Laufduell ab, zog in den Strafraum und bediente den am kurzen Pfosten »Danke« sagenden Pizarro, der vor Korzynietz am Ball war und Hain durch die Beine schoss. Dass Pizarro zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren ein Ligator auf fremdem Platz gelang, ist die Ironie des Schicksals.
Zehn starke Minuten reichten München, um die Partie umzubiegen. Für DSC-Torwart Hain keine Überraschung: »Wenn sieben, acht Minuten vor Schluss der Ausgleich fällt, bleibt einer Mannschaft wie Bayern eben noch sehr viel Zeit.«
Bernd Korzynietz' Fazit fiel so aus: »Wir haben uns nicht versteckt, kaum Bayern-Chancen zugelassen und bis zur 80. Minute verdient geführt. Der Ausgleich war schmerzhaft. Noch bitterer ist es, dass wir in der Nachspielzeit den Gnadenstoß gekriegt haben.«
So empfand es auch Thomas von Heesen. »Das Team tut mir leid«, formulierte der DSC-Trainer während der Pressekonferenz und hatte das Bild des weinenden Sibusiso Zuma im Kopf, der zuvor noch so fröhlich ein traumhaftes Tor bejubelt hatte. Das 1:0 für Arminia nämlich, das so perfekt war, dass es sogar zuckertorverwöhnte Fans des FC Bayern von den Sitzen riss. Nach einem Einwurf Tobias Raus (war in der Halbzeit für den an Adduktorenschmerzen leidenden Markus Schuler gekommen) gelangte Zuma an den Ball, hob ihn elegant über Bayern-Verteidiger Ismael hinweg, um ihn an Torwart Kahn vorbei dem frei stehenden Isaac Boakye in den Fuß zu passen. Der Ghanaer staubte ab und feierte mit der Mehrzahl der 26 601 Zuschauer in der ausverkauften Arena Bielefelds Führung.
Es wäre eine schöne Geschichte gewesen, wäre Arminias einzigem potenziellen WM-Teilnehmer das Siegtor für Arminia gelungen, während sich die elf potenziellen WM-Teilnehmer unter den 13 Nationalspielern im Bayern-Kader vergeblich um einen Treffer bemüht hätten. So aber ersparte der Peruaner Pizarro den Bayern die Blamage, stieß Boakye vom Heldensockel und brachte Bielefeld um die gerechte Belohnung für großen Aufwand: den greifbar nahen Sieg.

Artikel vom 21.11.2005