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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Einen geliebten Menschen durch den Tod verloren zu haben, empfindet mancher als einen Zusammenbruch, gegen den das eigene Sterben fast leicht zu wiegen scheint. Ohnehin ist ja der Tod eines anderen auch ein Stück eigenen Sterbens. Denn Leben erschöpft sich nicht im bloßen Dasein. Es ist vielmehr ein Geflecht von Beziehungen und Ergänzungen, des Austausches, des gemeinsamen Erlebens und der geteilten Erinnerungen. Dazu gehören Spannungen und Herausforderungen, die Erfahrung, einander zu bereichern und aneinander schuldig zu werden, Geben und Nehmen, insbesondere aber, Liebe zu empfangen und zu verschenken.
Trauer ist daher die schwarze Schwester der Liebe. Je stärker diese war, umso tiefer greift jene. Zu selten aber macht man sich dabei bewußt, daß Trauer vor allem Leid um die eigene Person ist. Man meint, die Verstorbenen zu beklagen. Mehr jedoch bedauert man sich selbst. Wie soll es nun weitergehen, da das ganze Dasein entleert erscheint und sich auf die quälende Frage verengt: Wozu bin ich eigentlich noch auf dieser Welt? Es sind die Novembertage des Totengedenkens, an denen solche Gefühle oft mit elementarer Wucht wieder hervorbrechen.
In solche Situation hinein spricht Jesus mit der zweiten Seligpreisung der Bergpredigt: »Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“ (Matth. 5, 4). Es gibt also wohl im Leid auch Trost - selbst wenn jemand meinen sollte, auf den Trost gut verzichten zu können, hätte er statt dessen gar nicht erst zu leiden brauchen.
Christus, der den Trost und nicht das Leiden preist, stellt indessen zugleich eine Welt in Frage, die Tränen nicht zu vertragen scheint. Er hält es nicht für bekömmlich, sie hinter einer Maske aus guter Laune, Optimismus und Vitalität zu verbergen, so zu tun, als hätte einer sein Leben völlig im Griff, nur um niemanden wissen zu lassen, wie es wirklich um ihn steht. Als Menschenkenner weiß er, daß man gerade auf diese Weise nur noch mehr vereinsamt und erstarrt. Denn das Leid wird daran gehindert, sich mitzuteilen und sich dabei zu lockern und zu verflüssigen. Vielmehr legt es sich wie ein schwerer Stein auf den Grund der Seele und begräbt unter sich, was erfreuen, Hoffnung schenken und einen Weg zeigen könnte, der aus der Traurigkeit hinausführt.
Christus spricht vom Trost, aber er meint keinen schnellen Trost. Erst, so sagt er, sei das Leid auszuhalten, also zu tragen. Dieser erste Schritt kann nicht übersprungen werden. Es beansprucht vielmehr seine Zeit, geht über verschiedene Stadien, über ein Auf und Ab. Weder ist es hilfreich, sich davon ablenken zu wollen, noch gelingt es. Andererseits soll sich niemand in das eigene Leid so hineinsteigern, daß er sich einredet: Niemand hat es so schwer wie ich. Denn daraus spräche Undankbarkeit.
Der Verlust eines geliebten Menschen macht ja deshalb so traurig, weil dieser zuvor ein so großes Geschenk war. Sich das bewußt zu machen, aber führt in die Dankbarkeit. Wird daraus sogar ein Dankgebet, so bleibt die Wirkung nicht aus: Das Gemüt hellt sich auf und erfährt schon etwas von dem Trost, den Christus in Aussicht stellt.
Seine Zusage aber steht unter einem noch größeren Horizont. Denn christlicher Glaube ist wesentlich Osterglaube. Das Werk Jesu, sein Kreuz und seine Auferstehung, werden so zusammengefaßt: »Er hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen an das Licht gebracht« (2. Tim. 1, 10). Daran läßt er die Menschen teilhaben und eröffnet ihnen den Zugang zu einem Sein, das nicht mehr vergeht, sondern in Ewigkeit vollendet wird. Darauf zu hoffen, nimmt einem die Trauer nicht ab, aber es hilft, sie zu tragen.

Artikel vom 19.11.2005