21.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die Schwelle vom Kabarett
zum Quatsch-Comdey-Club

Lach- und Schießgesellschaft gastierte im Zweischlingen


Quelle (gge). Das Leben ist ein Quatsch-Comdey-Club. Und wer bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft immer noch an Dieter Hildebrandt, Sammy Drechsel oder Ursula Noack denkt, der lebt in einer Kabarett-Welt von gestern. Das hat das Ensemble Samstagabend im Queller Zweischlingen mit dem Programm »Abgehängt« bewiesen.
»Schimpf vor Zwölf« hieß es Ende der 60er Jahre im Fernsehen: Bissige Gesellschaftskritik war angesagt, wenn Klaus Havenstein und andere ihre Kommentare scharfzüngig zum Besten gaben. Ihre Nachfolger Ecco Meineke, Michael Morgenstern, Thomas Wenke und Sonja Kling rücken den Mächtigen im Staat immer noch verbal zu Leibe. Allerdings sind sie lauter, fast theaterhaft. Regisseur Michael Ehnert nahm die rund 200 Besucher an der Osnabrücker Straße mit auf eine Reise im Airbus. Im Mittelpunkt des Geschehens: Edvard Munchs »Der Schrei«, von einem gewissen Spitzweg (mit Pudel »Molly«) in Oslo gestohlen. Jedes Mal, wenn sich der Koffer öffnet, melden sich die Verdammten dieser Erde zu Wort. Zum Beispiel nach der Talkrunde von Sabine Christiansen, wo die Frage diskutiert wird: »Können wir uns Hausfrauen, Rentner und Kleintiere noch leisten?« Das Notebook-Klöppeln in Ostwestfalen vielleicht, denn, so wird dem Publikum süffisant vermittelt: Deutschland ist nicht bankrott, sondern nur »im Leistenbruch«. Von der verstaubten Arbeiterpartei SPD ist es auch nicht weit bis zu Hartz IV als »Griff in die Schüssel«. Wozu das alles? »Die Würze des Lebens ist seine Ungewissheit. Der eigentliche Reiz liegt in der Überraschung.« Herr Hakan bildert da keine Ausnahme. Der arbeitslose Rapper hat 300 Bewerbungen verschickt und nur Absagen bekommen. Die Fallmanagerin der Arbeitsagentur gewährt ihm im perfekten Sächsisch einen Fahrtkostenzuschuss - einen Kanister Benzin. Anzünden? »Aber bitte draußen!« Es darf gelacht werden. Und es wird scharf geschossen. Insbesondere von Condoleezza Rice, der US-Außenministerin, wunderbar verkörpert von Sonja Kling. Die schwarze Lederlady (»I have an Auftrag«) bringt sich am Ende nicht nur in den Besitz des Koffers mit dem Kunstwerk, sondern weiß ganz nach den Vorstellungen eines Günther Netzer auch, wie man Dominanz beweist. Apropos Fußball: Die Gäste von der Isar ließen es sich Samstag natürlich nicht nehmen, den 2:1-Erfolg des FC Bayern über die Bielefelder Arminia aktuell mit ins Programm aufzunehmen. Ihre Prognose: »Bei Arminia geht der Fahrstuhl wieder nach unten.« Nun ja, Kabarettisten gelten vielfach als Pessimisten. Deshalb sprechen sie auch von der »Großen Fußkranken-Koalition«, die sich derzeit gerade in Berlin zusammenfindet. Es gibt viele Themen, derer sich Kabarettisten annehmen können und sollten. Aber muss es auch die »Frauengewerkschaft HIV« sein? Die Rede an die »lieben Kolleginnenenenenenen« war eher Klamauk denn scharfzüngige Machtkontrolle. Gut, dass Che Guevara die Persiflage auf ihn nicht mehr miterlebt hat. Er hätte sicher noch einige Fragen dazu gehabt. So war es an Bob Dylan, nach zweieinhalb unterhaltsamen Stunden den Schlusspunkt via Playback zu setzen: »The answer my friend is blowingâ in the wind«.

Artikel vom 21.11.2005