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»Dolchstoß für ambulante Medizin«

Ärzte wehren sich gegen Schmidts »fortgesetzte Dauerdiffamierung«

Von Dirk Schröder
Berlin/Dortmund(WB). »Diese Äußerungen kann man als dreist und unverschämt brandmarken«, erregte sich gestern der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Ulrich Thamer.
Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe kritisiert die Pläne von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Die Ärzte laufen Sturm gegen die Pläne von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, mit gleichen Ärzte-Honoraren für die Behandlung von gesetzlich und privat Versicherten für mehr Gerechtigkeit sorgen zu wollen. »Für die Blinddarm-OP muss es künftig das gleiche Honorar geben, egal ob jemand Privat- oder Kassenpatient ist«, hatte die SPD-Politikerin erklärt.
Die Ministerin wolle lediglich kaschieren, dass das System der gesetzlichen Krankenversicherung pleite sei und sie selbst mit ihren Beratern ganz wesentlich dazu beigetragen habe, kritisierte Thamer scharf. Er wehrte sich gegen die hier von Schmidt »fortgesetzte Dauerdiffamierung« der Ärzteschaft. Im Namen der 13 000 Ärzte in Westfalen-Lippe wies er Schmidts Behauptung zurück, die Ärzte würden den Großteil ihrer Versicherten vernachlässigen.
Absicht der Ministerin sei es offensichtlich, die chronische Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nun auch auf die private Krankenversicherung zu übertragen. Thamer: »Die Einnahmen aus der gesetzlichen Krankenversicherung decken in vielen Praxen gerade einmal die Kosten.« Der Ärztefunktionär warnte: »Weitere Schnellschüsse legen unser noch gerade funktionierendes Gesundheitssystem lahm.«
Der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV-Virchow-Bund) wies daraufhin, dass Privat-Versicherte laut einer Studie das Gesundheitswesen mit 8,5 Milliarden Euro jährlich subventionieren, darunter die ärztliche Versorgung mit 3,6 Milliarden Euro. Verbandschef Dr. Maximilian Zollner: »Wenn Ministerin Schmidt die Vergütung für privat Versicherte nach unten nivellieren will, wäre dies ein Dolchstoß für die ambulante Medizin.«
Scharfes Geschütz fuhr auch der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, auf. Schmidts Pläne seien ein verfassungsrechtlich fragwürdiger Weg in einen Sozialausgleich mit Billig-Medizin. »Die Ministerin versucht ganz offensichtlich, durch eine Nivellierung der Honorarsätze nach unten die Bürgerversicherung über die Hintertür einzuführen.«
Hoppe äußerte große Zweifel, ob Schmidts Ausführungsbestimmungen mit den Formulierungen im Koalitionsvertrag vereinbar seien. »Es scheint vielmehr der Versuch zu sein, Sozialneid zu schüren, um vom eigenen Versagen abzulenken.« Hoppe betonte, die amtliche Gebührenordnung für Ärzte sei völlig veraltet und entspreche nicht mehr den heutigen Ansprüchen und Erfordernissen der Medizin. Anwendungsschwierigkeiten, Fehlinterpretationen, Rechtsstreite und eine Kriminalisierung von Teilen der Ärzteschaft seien die Folgen.

Artikel vom 18.11.2005