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Grünalgen-Mutante
als lebende Solarzelle

Biologen lassen Einzeller Wasserstoff produzieren

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Erdöl, Erdgas, Kohle sind endlich. Und nicht nur das: Bei ihrer Verbrennung entstehen Kohlendioxid und eine Reihe von Schadstoffen. Als alternative Energiequelle kommt zunehmend Wasserstoff ins Gespräch, der allerdings nicht so leicht zu gewinnen ist. Biologen der Universität Bielefeld um den Privatdozenten Dr. Olaf Kruse arbeiten an einem Verfahren, ihn umweltfreundlich herzustellen. Dazu bedienen sie sich einer Alge.

»Dass Grünalgen Wasserstoff produzieren, weiß man seit Ende der 30er Jahre«, erzählt Kruse. Jahrzehntelang allerdings ruhte der See still - bis in den frühen 90er Jahren der Gedanke aufkam, diese Eigenschaft der Alge zu nutzen und biotechnologisch umzusetzen. Kruse selbst arbeitet seit gut drei Jahren an der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Ben Hankamer von der University of Queensland in Brisbane will er den Einzeller als Energieträger der Zukunft nutzbar machen.
»Chlamydomonas ist die Alge, die in ihrer Wildform die höchste Wasserstoff-Ausbeute hat - aber die Ergebnisse sind trotzdem noch lausig«, sagt Kruse. Seine genetisch veränderte Mutante mit dem Namen Stm6 hingegen produziert aus Sonnenlicht und Wasser sechs- bis 13mal so viel Wasserstoff (und einen Rest Wasser). Aber auch das reicht noch nicht.
»Es gibt einen Richtwert, die so genannte PCE-Rate, die sagt, wieviel Sonnenenergie letztlich umgewandelt wird und ab wann sich das Verfahren lohnt. Die PCE-Rate der Chlamydomonas-Wildform liegt bei 0,1 Prozent, die unseres Organismus bei zwei Prozent. Wir wollen aber die sieben schaffen.« Bis 2011 soll das Ziel erreicht sein, die Wissenschaftler und ihre australischen Kollegen sind aber auch so schon beinahe an der Grenze zu kostengünstiger Produktion.
Was die Bielefelder Algenmutante kann, soll sie demnächst in einem Bioreaktor von 300 Litern Volumen beweisen. Er wird gerade von Kollegen der TH Karlsruhe nach den Bedürfnissen der Biologen gebaut und könnte im kommenden Jahr in Betrieb gehen. In einem Zehn-Tage-Rhythmus soll sich aus der Stammkultur der einzelligen Alge in dem Reaktor Biomasse aufbauen; mit anderen Worten: Die Mutante darf sich erst einmal ungestört vermehren.
Anschließend produziert die Alge als lebende Solarzelle den Wasserstoff - und geht daraufhin ein. »Aber selbst diese Biomasse ist kein Abfall, sondern energetisch hochwertiges Material«, betont Olaf Kruse. »Man könnte diese Biomasse vergasen und dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man gewinnt Energie und entsorgt so die gentechnisch veränderten Organismen in einem geschlossenen System.«
In zwei Jahren werde seine Arbeitsgruppe ein 1000-Liter-System testen, erwartet Kruse. »Das erzeugt dann mit jährlich 242 Kilowattstunden schon relativ viel Energie.« Und ein 10 000-Liter-Reaktor könnte sogar schon einen Zwei-Personen-Haushalt ein Jahr lang mit Energie versorgen, rechnet Kruse vor. Der große Vorteil dieser Art, Wasserstoff zu produzieren, liegt darin, dass der Prozess völlig emissionsfrei ist - es entstehen keine Schadstoffe.
Ungelöst und eine Herausforderung an die Ingenieure sei noch das Problem der Lagerung, Speicherung und des Transportes von Wasserstoff, gesteht Kruse: »Es ist ein leichtes und flüchtiges Gas, das nur stark komprimiert transportiert werden kann.«
Noch fehlen auch die Autos, die diesen Energieträger nutzen können. »Aber weil die anderen Energieträger wie Öl, Gas und Kohle knapp werden, ist das nur eine Frage der Zeit.«
Eine Herausforderung für die Biologen wird außerdem noch darin bestehen, statt der Süßwasseralge Chlamydomonas reinhardtii eine Salzwasseralge für die Energiegewinnung einzusetzen: »Süßwasser ist ein knappes Gut, Salzwasser nicht.« Deswegen auch suchen die Forscherkollegen in Brisbane nach einer geeigneten Salzwasser-Spezies.
»Wenn man die einsetzen könnte, hätte das einen weiteren großen Vorteil: Weil bei unserem Verfahren neben der Energie immer auch Wasser am Ende der Produktion steht, könnte man damit gleichzeitig Wasser entsalzen - für viele Regionen der Welt wäre das ein Traum«, schwärmt Olaf Kruse.

Artikel vom 25.11.2005