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90 Jahre Caritas Paderborn:
Westfalen hat christliches Herz

Regionale Verwurzelung als Erfolgsrezept - soziale Bewegung von unten

Paderborn (WB). Die Caritas im Erzbistum Paderborn genießt in der Bevölkerung ein außerordentlich positives Image. 92 Prozent der Bevölkerung im Bereich des Erzbistums vertrauen der Arbeit der Caritas - dies ist der Spitzenplatz unter den deutschen Diözesen.
Was nach ländlicher Idylle aussieht, ist in Wirklichkeit ein Flüchtlingsquartier in Paderborn. Mit der Katholischen Osthilfe hat der Caritasverband Tausenden von Weltkriegs-Flüchtlingen Unterkunft gegeben.Dieses Foto dokumentiert den öffentlichen Protest eines Paderborners gegen die Versorgungslage.
Mit einem Gottesdienst und einer sich anschließenden Vertreterversammlung begeht der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn morgen in Dortmund sein 90-jähriges Verbandsjubiläum.
Der Caritasverband wurde 1915 auf Drängen des Paderborner Bischofs Karl Joseph Schulte gegründet. Angesichts der Not des Ersten Weltkriegs galt es, ein Instrument zu schaffen, das die Caritasarbeit im Bistum koordiniert und organisiert. Der Sitz des neuen Verbandes war zunächst Dortmund, 1917 wurde er nach Paderborn verlegt.
Internationales Ansehen genoss der vom Verband eingerichtete Suchdienst für alliierte Kriegsgefangene in den Lagern der Senne. In der Weimarer Republik übernahm der Diözesan-Caritasverband neue Aufgaben wie die sozialrechtliche Bildungsarbeit im Gefolge der neuen Reichsgesetze zur Wohlfahrtspflege. 1925 gab es bereits 27 Orts- und Kreiscaritasverbände und 300 Orts-Caritasausschüsse in den Pfarrgemeinden.
In der Zeit des Nationalsozialismus war die Arbeit der Caritas zwar durch das Konkordat von 1933 auf dem Papier abgesichert, doch im Alltag durch Schikanen beschnitten. Diözesan-Caritasdirektor Rudolf Dietrich, seit 1937 im Amt, wurde wie viele andere caritativ tätige Priester und Laien immer wieder verhört bzw. in Haft genommen. Der Einsatz für Schwache und Kranke führte unweigerlich zu Konflikten. Gegen die Zwangssterilisierung so genannter Erbgeschädigter regte sich beispielsweise der Widerstand katholischer Krankenschwestern.
Die Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1952 waren die »hohe Zeit der Caritas«. Der Verband schuf mit der Katholischen Osthilfe ein Hilfswerk, dem Tausende von Flüchtlingen Wohnung, Kleidung, Arbeit und letztlich ihre Beheimatung in Westfalen verdanken sollten. Insgesamt nahm das Erzbistum Paderborn 730 000 heimatvertriebene Katholiken auf - so viele wie kein anderes deutsches Bistum.
»Westfalen ist christlich und hat ein christliches Herz«, begrüßte der Osthilfe-Leiter, Prälat Paul Kewitsch, die Flüchtlinge an den Bahnhöfen. Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde wieder ein Suchdienst eingerichtet, diesmal für vermisste deutsche Soldaten. Von Erwitte aus wurden im Rahmen der Caritas-Kriegsgefangenenhilfe von 1951 bis 1955 mehr als 40 000 Pakete an deutsche Kriegsgefangene in Russland verschickt.
Der Ausbau einer institutionellen Caritas mit neuen Berufsbildern deutete sich bereits 1948 an. Mit der Ankunft der ersten Gastarbeiter erfolgte 1956 der Aufbau der Ausländersozialdienste.
Noch heute nimmt das Erzbistum Paderborn mit mehr als 20 000 Caritas-Ehrenamtlichen und 45 000 zahlenden Caritas-Mitgliedern in den Gemeinden eine Spitzenstellung ein.
Diözesan-Caritasdirektor Volker Odenbach sieht die Gründe für das positive Image in der Bevölkerung neben der Gemeindeorientierung in der Struktur des Verbandes: »Caritas soll eine soziale Bewegung von unten sein - und kein Konzern.« Folgerichtig sei Caritas dezentral strukturiert. Zähle man die Kirchengemeinden als Träger von Kindergärten, Altenheimen oder Krankenhäusern hinzu, sind es sogar mehr als 600 Einrichtungen.
Odenbach: »Was in Zeiten wirtschaftlicher Konzentrations- und Fusionsprozesse als abwegig erscheint, erweist sich für die Caritas als Erfolgsrezept.«

Artikel vom 18.11.2005