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Selters statt Sekt zum
Festakt der Koalition

Union und SPD unterzeichnen Regierungsvertrag

Von Joachim Schucht
und Jenny Tobien
Berlin (dpa). Im Foyer des Paul-Löbe-Hauses ging es betont schlicht und sparsam zu. Die Gastgeber wollten jeden Eindruck von Pomp vermeiden.

»Es wäre sicherlich das falsche Signal, jetzt Champagner-Partys zu feiern«, gab sich der künftige CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos ungewohnt bescheiden. Eigentlich gehe es doch nur darum, »eine rein sachliche Lebenspartnerschaft« zu besiegeln, erklärte der baldige SPD-Vize-Kanzler Franz Müntefering den eher kargen Aufwand.
Bereits nach knapp 15 Minuten war das Pflichtprogramm des schwarz-roten Festakts bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages vollzogen. Vor einer neutralen hellblauen Kulisse setzten die sechs Unterhändler - drei auf jeder Seite - auf einer grauen Kunststoff-Unterlage auf dem Podium ihre Unterschriften unter die beiden in Dunkelblau gebundenen Vertragsdokumente.
Angela Merkel, die in einem cremefarbenen Jackett und schwarzer Hose erschienen war, machte erst eine Probe mit dem Füllhalter, bevor sie nach kurzem Zögern ihren Namen unter das Dokument setzte. Mit einem schwungvollen Schriftzug verewigte sich Edmund Stoiber.
Neben dem neuen Parteichef Matthias Platzeck und seinem Vorgänger Müntefering hatte die SPD-Seite bei der Zeremonie noch eine bislang weitgehend unbekannte Parteifreundin aufgeboten, um Angela Merkel beim Gruppenfoto in Sachen Frauenquote Paroli zu bieten. Die gerade erst beim SPD-Parteitag in Karlsruhe zur Partei-Vizevorsitzenden gewählte Elke Ferner schien ihre überraschende Rolle zu genießen.
Eher staatstragend - mit einigen ungewollt launigen Zwischentönen - waren die kurzen Reden, zu denen allerdings nicht einmal alle künftigen Kabinettsmitglieder erschienen waren. Auch der noch amtierende Kanzler ließ sich entschuldigen. Schräg gegenüber vom Löbe-Haus war Gerhard Schröder in seinem Büro mit letzten Aufräumarbeiten beschäftigt.
»Mit Fröhlichkeit und Leidenschaft« wolle man jetzt an die Arbeit gehen, kündigte Angela Merkel an. »Ein Deutschland mit Herz« versprach nach ihr Matthias Platzeck. Stimmung kam auf, als der SPD-Chef als Auftrag der neuen Regierung auch die »Lust, mehr Kinder zu zeugen« verkündete. »Lasst uns ans Werk gehen - vor allem mit mehr Optimismus«, lautete der Aufruf von Edmund Stoiber an die schwarz-rote Truppe. Wenn man künftig vor der Frage stehe, ob ein Glas halb leer oder halb voll ist, solle es künftig immer heißen: »halb voll«, meinte der CSU-Vorsitzende.
Beim folgenden Stehempfang wurde zwar mit vollen Gläsern angestoßen. Doch Mineralwasser und Fruchtsäfte überwogen. Nur Stoiber nippte an einem Glas Sekt. Und die künftige Regierungschefin bekam bereits zu spüren, wie schwer es ist, von der Kanzler-Richtlinienkompetenz richtig Gebrauch zu machen.
Erst nach mehrfacher Bitte, zum gemeinsamen Prosit doch an ihren Tisch zu kommen, ließ sich Müntefering herbeiholen. Der entscheidende Anstoß mit den Softdrinks kam dann auch noch von Platzeck. Mit den Worten »Auf gutes Gelingen« kam er Merkel zuvor.

Artikel vom 19.11.2005