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Auf dass wir
klug werden...

Bern Kollmetz ist evangelischer Pfarrer der Johanniter Ordenshäuser Bad Oeynhausen.

Was Leben wirklich bedeutet, zeigt uns in besonderer Weise der Monat November. Die Gedanken werden ausgerichtet auf Blickrichtungen, denen wir lieber ausweichen: begrenzte Zeit und damit verbunden bruchstückhaftes, unvollkommenes und unzulängliches Denken und Handeln in der Lebensgestaltung. Kurz gesagt: Leben ist Stückwerk. Darüber hilft keine leistungsstarke Medizin und kein noch so durchgeplanter Entwurf hinweg. Nicht das Vollkommene gibt allem seine Tiefe, sondern das Bruchstückhafte. Und recht betrachtet, wirkt diese Wahrheit sehr befreiend.

Von dieser Wahrnehmung aus gewinnt ein Gedanke des Philosophen Herodots noch an Aussagekraft: »Was du auch tust, tu es klug und bedenke das Ende.« Es ist nicht zu leugnen, dass dies wie ein Widerspruch klingt, kann doch der Schlusspunkt bezogen auf das Leben und Handeln nicht treffsicher bestimmt werden. Und trotzdem behält das Gesagte seinen berechtigten Anspruch. Leiden nicht viele Entscheidungen darunter, dass sie nicht bis zu Ende durchdacht sind? Und folgt daraus nicht die leider weitverbreitete geistige Kurzatmigkeit?

Die Begrenzung selbst wird zum Lehrmeister des Lebens. Oder wie es in einem Psalmwort heißt: »Herr, lehre uns bedanken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.« Das Leben in all seinen Bezügen von dieser unverrückbaren Wahrheit in den Blick zu nehmen, ermöglicht erst befreites und zugleich verantwortliches Umgehen mit der Zeit, die den Menschen geschenkt wird.

Übrigens: Dadurch, dass wir meinen, Zeit einsparen zu müssen, verlieren wir nur Zeit. Menschen, die sich in allem die notwendige Zeit nehmen, beteiligen sich, engagieren sich nach besen Kräften für das Leben.
Bernd Kollmetz

Artikel vom 21.11.2005