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Braver Konrad wird umgekrempelt

Theaterspaß von Christine Nöstlinger als Adventsstück in Paderborn

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Fürs Ungezogensein belohnt werden - das gibt es leider nur im Märchen. An den Westfälischen Kammerspielen in Paderborn wird dieser Kindertraum jetzt spaßige Wirklichkeit.

Bei der Auswahl des traditionellen Adventsstücks haben die Paderborner Theatermacher diesmal auf einen bewährten Kinderbuch-Klassiker von Christine Nöstlinger zurückgegriffen. In »Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse« (Regie: Tobias Krechel, Ausstattung: Martina Stoian) werden Erziehungsmuster und Konventionen herrlich konterkariert.
Frau Bartolotti hat sich ihr Wunschkind aus dem Versandhauskatalog bestellt. Allerdings ist der Firma bei der Zustellung des siebenjährigen Konrad, einem kreuzbraven Retortenkind, ein Fehler unterlaufen: Die Lieferanschrift wurde verwechselt. Also landet der super-ordentliche Konrad bei der völlig chaotischen Alleinerziehenden. Unterstützung findet das wegen seiner Wohlerzogenheit und Altklugheit von den Klassenkameraden in der Schule gehänselte Kind nur bei dem langweiligen und pedantischen Lebensgefährten von Frau Bartolotti, dem Apotheker Egon.
So richtig brisant wird die Geschichte aber, nachdem die Konservenfirma ihren Irrtum bemerkt hat. Um Konrad nicht zu verlieren, leiten die beiden so unterschiedlichen Pflegeeltern ein anarchisches Umerziehungsprogramm ein: ihr Sohn muss Schimpfwörter pauken, lernt Aufsässigkeit und wird so allmählich zu einem ganz normalen Jungen.
Schon bei der Premiere gestern zeigte sich, wie goldrichtig die Kammerspiele mit ihrem Adventsstück liegen. Die kleinen Zuschauer im Theater am Rathausplatz feuerten Konrad regelrecht beim Bemühen an, seine brave Retortenkind-Erziehung umzukrempeln und hatten ihren Heidenspaß, wenn das Tischbein angesägt oder der Pudding an die Wand geklatscht wurde. Immerhin dient die antiautoritäre Umerziehung ja einem guten Zweck: Konrad wird zum Reklamationsfall für seine ursprüngliche Bestelladresse und darf am Schluss in der Patchwork-Familie bleiben.
Ein spielfreudiges Ensemble (Kerstin Westphal, Helmut Thiele, Willi Hagemeier und Birgit von Rönn) sorgt nicht nur für nötige Turbulenz, sondern auch für viele stille und nachdenklich stimmende Momente. Nikolaus Firmkranz gibt vielleicht etwas zu »erwachsen« den eigentlich unglücklichen und zwischen seinen »Eltern« hin- und hergerissenen Konrad. Außerdem wird die Bühnentechnik sehr kindgerecht und augenfällig eingesetzt. Die kleinen Zuschauer können mitverfolgen, wie Tisch und Teppich auf den Schnürboden hinauf gezogen und wie die Kulissen gedreht und gekippt werden.

Artikel vom 18.11.2005