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Gewaltverbrechen: Tim ist tot

Polizei findet Leiche des vermissten Kindes im Haus in der Nachbarschaft

Elmshorn (dpa). Nach sechs Tagen bangen Wartens ist es traurige Gewissheit: Der vermisste zweijährige Tim aus Elmshorn in Schleswig-Holstein ist tot. Ermittler der Polizei fanden gestern Nachmittag eine Kinderleiche in einem Haus in Elmshorn - nur eine Straße von Tims Wohnhaus entfernt.
Tim ist tot. Der zweijährige Junge wurde seit Donnerstag vergangener Woche vermisst.

Sandra verteilt in Sichtweite der Polizeiabsperrung das wöchentliche Anzeigenblatt. »Wo ist der kleine Tim? - Hoffen auf ein Wunder« steht noch in großen Lettern auf der Titelseite. Doch es gibt keine Hoffnung mehr, die Polizei hat den zweieinhalb Jahre alte Jungen auf einem Grundstück ganz in der Nähe seines Zuhauses tot gefunden. Angeblich wohnt dort sein Vater. »Wir müssen leider davon ausgehen, dass es sich dabei um den kleinen Tim handelt«, sagte der Sprecher der »Soko Tim«, Rainer Holm. Der Junge fiel nach Einschätzung der Ermittler vermutlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer. »Davon müssen wir im Moment ausgehen«, sagte Holm. Einzelheiten könnten aber erst nach einer Obduktion genannt werden. Die Leiche des Kindes wurde noch am Nachmittag in die Gerichtsmedizin nach Hamburg gebracht.
Unklar war zunächst, wie der Junge zu Tode kam. Die Ermittler hüllten sich in Schweigen. »Aus ermittlungstaktischen Gründen machen wir erst einmal keine weiteren Angaben - weder zur Auffindesituation noch zur Todesursache«, sagte Holm. Festnahmen habe es aber nicht gegeben. Berichte, wonach die Leiche eingemauert gewesen sein soll, wies der Soko-Sprecher zurück: »Ich weiß nicht, woher das stammt.«
Der kleine Tim war am vergangenen Donnerstag unter rätselhaften Umständen aus seinem Kinderbettchen verschwunden. Nach ersten Aussagen der 21 Jahre alten Mutter hatte sie den Kleinen noch mit Jeans und einem Pulli bekleidet ins Bett gebracht und sich dann selbst im Wohnzimmer hingelegt. Als sie nach gut drei Stunden gegen 22 Uhr wieder erwachte, sei der Junge weg gewesen. Die Mutter rief die Polizei, doch eine sofortige Suche brachte keine Hinweise.
Die Nachricht über das Auffinden der Kinderleiche verbreitet sich in der Nachbarschaft am Rande der Innenstadt von Elmshorn (Schleswig-Holstein) in Windeseile. Das Entsetzen steht den Menschen ins Gesicht geschrieben. »Man ist sauer, dass so etwas in der eigenen Stadt passiert«, sagt die 19-Jährige. »Da kommt so eine Trauer auf, obwohl ich Tim nicht kannte.«
»Ich bin zutiefst entsetzt«, sagt der 57 Jahre alte Joachim Levin mit Tränen in den Augen. Er wohnt seit 25 Jahren in der Nachbarschaft, nahe der Eisenbahnlinie, die von der Kreisstadt Pinneberg durch die flache holsteinische Landschaft nach Itzehoe führt. Die Häuser sind alt, die Fußwege schmal und ohne Bäume. »Was die Polizei unternommen hat, finde ich großartig«, fügt Levin an und meint damit den unermüdlichen Einsatz der Beamten, die in Gärten und Grünanlagen, in Teichen und dem Flüsschen Krückau nach dem kleinen Jungen gesucht hatten. Levin wirkt ratlos. »So etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich fühle mich hier doch wohl«, sagt er. Das sei immer ein sicherer Ort gewesen mit einer ganz normalen Nachbarschaft.
Der Stadtteil wirkt im tristen Novembergrau melancholisch, kalter Regen durchnässt Reporter, Polizisten und Nachbarn. Vor das Haus, in dem der Junge gefunden wurde, hat jemand ein Bild von Tim gestellt und ein Teelicht entzündet. Einige Menschen wollen reden und ihre Verzweiflung in Worte fassen: »Es ist traurig, was heutzutage in den Köpfen der Menschen vorgeht«, sagt der 24 Jahre alte Benjamin Schmittner, der die Familie von Tim gut kennt. »Die Frage nach dem Warum und Weshalb kann man nicht beantworten.« Aus seiner Erfahrung ist er aber sicher: »Mit der Familie ist alles in Ordnung gewesen.«
Svenja Pippis hat ihren 16 Monate alten Sohn auf dem Fahrrad sitzen. Sie ist sichtlich mitgenommen und fühlt sich unsicher: »Wo lebt man hier?« Dass Tim etwas Schreckliches passiert sein musste, sei allen Nachbarn spätestens nach zwei Tagen klar gewesen.
Vor dem Haus, in dem Tim gelebt hat, nur etwa 100 Meter vom Fundort entfernt, steht ein Polizeiwagen. Zwei Beamte schauen, dass niemand an die Haustür tritt, die fast in Griffweite hinter dem Bürgersteig liegt. Ein Aufkleber warnt: »Der Tatort ist beschlagnahmt. Betreten verboten«.

Artikel vom 17.11.2005