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Neue Foltervorwürfe im Irak

Bagdads Regierung unter Druck - US-Truppen setzten Phosphor ein

Bagdad (Reuters). Nach dem Skandal in dem US-geführten Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad sieht sich nun auch die verbündete irakische Regierung mit Foltervorwürfen konfrontiert.
US-Truppen hatten am Wochenende mehr als 170 offensichtlich misshandelte inhaftierte Männer und Jugendliche in einem Bunker des Innenministeriums in Bagdad entdeckt. Ein Vertreter einer Schiiten-Miliz wies gestern Vorwürfe zurück, seine Gruppe habe etwas mit den Vorgängen in dem Bunker zu tun.
Die irakische Regierung hat Ermittlungen zu den Vorfällen eingeleitet. Die Gefangenen seien anscheinend unterernährt, sagte Ministerpräsident Ibrahim Dschaafari. Zudem sei von Folterungen die Rede. Die USA nannten die Berichte Besorgnis erregend. »Wir foltern nicht. Und wir denken, dass auch andere dies nicht tun sollten«, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Adam Ereli.
Sollten sich die Vorwürfe als begründet herausstellen, müsse das Bunkerpersonal belangt werden, sagte Ereli. Die Vorfälle wecken Erinnerungen an den Folterskandal in Abu Ghraib, der die US-Regierung im Vorjahr unter Druck gebracht hatte.
Der irakische Vize-Innenminister Hussein Kamal versicherte, die Verantwortlichen für die Zustände in dem Bunker in Bagdad würden zur Rechenschaft gezogen. Er zeigte sich geschockt: »Ein oder zwei Häftlinge waren gelähmt, andere hatten an etlichen Körperstellen keine Haut mehr.« Dies sei das Schlimmste, was er in jüngster Zeit erlebt habe. Die Häftlinge seien inzwischen in medizinischer Behandlung.
Eine irakische Schiiten-Miliz, der eine Verbindung mit den Vorgängen nachgesagt wird, wies jede Verwicklung in die Misshandlungen zurück. »Dieser Bunker wird vom Innenministerium betrieben, die Amerikaner gehen dort ein und aus«, sagte der Chef der Badr-Organisation, Hadi al-Amery. Die Gruppe pflegt enge Beziehungen zur größten Schiiten-Partei SCIRI, die mit am Regierungstisch sitzt.
Die Badr-Gruppe ist aus der in den 80er Jahren im iranischen Exil gegründeten militanten Badr-Brigade hervorgegangen, die die Herrschaft Saddam Husseins mit Waffengewalt bekämpfte. Ein an den Festnahmen der Gefangenen beteiligter Iraker sagte, die Häftlinge seien Terroristen, die wegen Bombenanschlägen in dem Bunker verhört worden seien.
Der 18-Jährige beschrieb, wie die Razzien abliefen. »Wir haben ihnen Säcke über die Köpfe gestülpt und die Hände auf dem Rücken gefesselt.« Bei den Verhaftungen habe es keine Rolle gespielt, ob es sich um Schiiten, Sunniten oder Kurden gehandelt habe. Die Verdächtigen seien zu Verhören im Zusammenhang mit Bombenanschlägen in den Bunker gebracht worden.
Irakische Menschenrechtler untersuchen unterdessen den Einsatz von Phosphor-Geschossen durch amerikanische Truppen gegen Aufständische in Falludscha. Ein Expertenteam sei gestern in der Stadt eingetroffen, sagte der amtierende Minister für Menschenrechte, Narmin Uthman.
Ein Pentagon-Sprecher hatte zuvor den Einsatz von weißem Phosphor bei der Offensive in der früheren Rebellenhochburg Falludscha vor einem Jahr eingeräumt. Oberstleutnant Barry Venable betonte jedoch, dass die Brandwaffe nicht gegen Zivilisten verwendet wurde. Das Verteidigungsministerium in Washington hatte zuvor lediglich eingeräumt, Phosphorgranaten benutzt zu haben, um feindliche Stellungen bei Nacht zu erleuchten.
Auch britische Truppen haben im Irak weißen Phosphor eingesetzt. Allerdings sei dies ausschließlich als Täuschungsmanöver geschehen, erklärte der britische Verteidigungsminister John Reid gestern. Es seien mit dem Phosphor Rauchwände geschaffen worden.
Der US-Senat hat sich dafür ausgesprochen, dass die Iraker im kommenden Jahr ihre Sicherheit selbst in die Hände nehmen. Damit soll zugleich die Voraussetzungfür einen allmählichen Abzug der US-Truppen geschaffen werden.

Artikel vom 17.11.2005