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Unrecht und Unrecht sind nicht immer gleich

Enteignungen in Mitteldeutschland wurden vom Staat nachträglich festgeschrieben

Hochhäuser des Beisheim-Centers am Potsdamer Platz in Berlin: Dieses Grundstück ist Teil des Entschädigungs-Streits zwischen der Wertheim-Familie und der Karstadt AG. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte Ansprüche auf Entschädigung der Wertheim-Erben an. Foto: dpa

Zum Thema »Wertheim-Erben erfolgreich«:
Unrecht ist offenbar nicht Unrecht in Deutschland. Während in der Nazizeit Grundstücke und Firmen enteignet wurden, weil die Besitzer Juden waren, wurden nach dem Krieg in Mitteldeutschland oft unter nicht weniger grausamen Umständen Besitzungen vor allem in der Landwirtschaft zwischen 1945 und 1949 zwangsenteignet, weil die Eigentümer »Junker« oder Industrielle waren, die nicht in das kommunistische Regime passten.
Wie jetzt bei den Wertheim-Erben, denen das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Ansprüche auf Entschädigung zubilligte, wurde jüdisches Eigentum nach dem Krieg grundsätzlich zurückgegeben oder entschädigt. Aber die betroffenen Familien in der damaligen Sowjetzone, denen die Flucht in den Westen gelang oder die eine langjährige Lagerhaft in Sibirien überstanden hatten, wurden praktisch ein zweites Mal enteignet, als unsere Regierung in Bonn bei der Wiedervereinigung die Enteignungen unter dem Ostberliner Machtregime festschrieb ohne einen Pfennig Entschädigung.
Als wäre es Hehlerware, vergriff sich unser Staat dann auch noch an diesen Besitzungen und verscherbelte sie über die sogenannte »Treuhand« auf eigene Rechnung.
Besonders verwerflich ist, dass alle unsere Regierungen nach dem Krieg das mit den Enteignungen begangene schwere Unrecht im kommunistischen Teil Deutschlands jahrzehntelang anprangerten, bei der Wende aber sogar die damalige christlich-demokratisch geführte Regierung »umkippte« und den Unterhändlern Ostberlins nachgab. So glaubte man sich sicher, bei den anstehenden Wahlen die Mitteldeutschen auf seiner Seite zu haben, was auch anfangs gelang.
Da in Deutschland Unrecht aber offenbar nicht gleich Unrecht ist, je nachdem wer es begangen hat, seien Zweifel an diesem Rechtsstaat erlaubt.
MARTIN BRÜCKNER33615 Bielefeld

Artikel vom 26.11.2005