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Das Wort zum Buß- und Bettag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Das Thema des Buß- und Bettages - Lebensbilanz, Neuorientierung der Gesellschaft, Umkehr - findet in der Bibel eine breite Grundlage. Besonders die Prophetie des Alten Testaments ist überwiegend und im wesentlichen Bußpredigt. Die biblischen Propheten sind ja keineswegs Wahrsager, Hellseher oder gar Spökenkieker. Sie sagen nicht die Zukunft voraus, und die Bücher, die von ihnen handeln und in denen sie selber zu Worte kommen, haben mit Science-fiction-Romanen oder sonstiger utopischer Literatur nichts zu tun.
Propheten sind von Gott berufen und mit einem besonderen Auftrag versehen. Dadurch schwillt ihnen nicht die Brust; eher und öfter erfüllt es sie mit Angst und Schrecken. Sie fühlen sich dessen unwürdig oder schätzen sich selbst als unfähig ein. „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen“ ist die Reaktion des Jesaja, (Jes. 6, 5), als Gott ihn für sich in Beschlag nimmt. „Ach Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung“, erwidert Jeremia (Jer. 1, 6) aus dem gleichen Anlass.
Beides ist nur allzu verständlich. Denn die Propheten erwartet kein Beifall, sondern die Isolation und manchmal die völlige Einsamkeit. Was sie zu verkündigen haben, richtet sich meistens nicht an den einzelnen, sondern an die Öffentlichkeit und beansprucht damit - so würde man heute sagen - gesellschaftspolitische Relevanz. Sie haben anzusagen, was von Gott her an der Zeit ist. Das aber widerspricht meistens dem jeweiligen Zeitgeist und passt den Herrschenden in aller Regel nicht in ihr Konzept.
Anders als manche, die sich heute selbst gern für Propheten halten, sind die biblischen Propheten nicht abgesichert, so daß ihnen zumindest, was das Materielle und die Altersversorgung anbetrifft, nicht allzu viel passieren kann. Soweit nachprüfbar, sind sie ganz auf sich allein gestellt und haben als einzigen Bundesgenossen den unsichtbaren Gott. Der aber lüftet sein Inkognito nicht und stattet seine Boten auch nicht mit eindrucksvollen Machtmitteln oder zumindest wirksamen Methoden aus, die ihrer Verkündigung das nötige Gewicht verleihen könnten. Sie verfügen über nichts weiter als über das Wort, das die Menschen überzeugen will, dem sie aber auch widersprechen und das sie in den Wind schlagen können.
Mit oft unnachgiebiger und schonungsloser Schärfe prangern die Propheten das Unrecht an. Sie sind davon durchdrungen, daß ein Gemeinwohl - und damit auch der einzelne Mensch -unweigerlich Schaden nehmen müssen, wenn das persönliche Fortkommen und die persönliche Vorteilnahme nicht mehr hinter die Verantwortung für das Ganze zurücktreten und durch sie gebändigt werden. Und eine Religiosität, die nur noch folkloristische Dekoration ist und allenfalls dazu dient, das Leben feierlich zu überhöhen, es aber nicht mehr prägt und bis in alle Einzelheiten gestaltet, halten sie für eine Beleidigung Gottes, die nicht ohne Folgen bleiben wird.
Propheten sind keine Hellseher, aber sie sind hellsichtig. Sie erkennen, was die Stunde geschlagen hat, und das, längst bevor die Menge und die Führungsschichten davon etwas ahnen. Sie haben ein besonderes Gespür für die politischen Zusammenhänge und die wirklichen Größen- und Machtverhältnisse unter den Völkern. Als solche warnen sie vor falscher Selbsteinschätzung, die mit mangelndem Vertrauen auf den wahren Herrn der Geschichte einhergeht. Hätten die Deutschen im 20. Jahrhundert doch nur auf diese Stimmen gehört! Wieviel Leid wäre ihnen und anderen dadurch erspart geblieben!
„Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“, lautet ein wie in Stein gemeißelter Satz beim Propheten Jesaja (Jes. 7, 9). Der ist auch einer Gesellschaft ins Stammbuch geschrieben, die sich immer mehr anschickt, sich ihrer eigenen geistigen und geistlichen Wurzeln zu schämen und diese zu leugnen. Er ist aller Neubesinnung wert. Denn „es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Micha 6, 8).

Artikel vom 16.11.2005