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Mathematik zum »Begreifen«

Ausstellung in Lemgo schult das räumliche Vorstellungsvermögen

Von Dietmar Kemper
und Stefan Hörttrich (Fotos)
Lemgo (WB). Plötzlich platzt die Haut aus Seifenlauge. Was Oberflächenspannung bedeutet, erlebten die 25 Jungen und Mädchen der Kusselberg-Schule in Detmold gestern im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake in Lemgo.
Experimente sind der beste Unterricht. Viel hält eine Hülle aus Seife nicht aus. Die beiden Julias aus der 3c (Bildmitte) konnten nicht verhindern, dass Miriam (links) das fragile Gebilde zerstörte.

Die neunjährige Julia aus der 3c steht inmitten einer Art Duschkabine. Sie zieht einen Ring aus Gummi hoch, der mit Seifenlauge gefüllt ist. Langsam bildet sich um ihren Körper eine hauchdünne Schicht. Als Julias Freundin Miriam ihren Finger in das Gebilde aus Seife steckt, bleibt davon nichts übrig. Nebenan experimentieren Daniel, Joshua und Lenard mit Polydromen: Bei den so genannten Vielseitern handelt es sich um Teile aus Kunststoff, mit denen sich dreidimensionale Körper wie Pyramiden konstruieren lassen.
Das räumliche Vorstellungsvermögen von Kindern und Jugendlichen zu fördern, ist das Hauptziel des Mitmach-Museums »mathematikum«. Die Wanderausstellung des Mathematischen Instituts der Universität Gießen macht bis zum Sonntag Station in Lemgo. Begründet hat sie Professor Albrecht Beutelspacher. Weil die Ausstellung begehrt ist, »muss man sie ewig lange vorbestellen«, sagte Rolf Schönlau vom Weserrenaissance-Museum gestern dieser Zeitung. Für 5000 Euro darf er den lehrreichen Rundgang mit 29 Stationen jetzt zeigen.
Mathematik ist interessant: 150 000 Besucher strömen jedes Jahr ins Museum nach Gießen, und in Lemgo ließen sich gestern zwischen 8 und 14 Uhr gleich acht Klassen von der »Mathematik zum Anfassen« begeistern. »Wie hast du das gemacht?« lautete eine immer wieder gestellte Frage. Nur die Lehrerinnen bekamen ein Lösungsheft mit auf den Parcours. Die Kinder hielten dreieckige Kunststoffteile ins Licht einer Lampe und veränderten den Schatten solange, bis er exakt eine der Flächen an der Wand überlappte. Warum ergibt sich eine aufsteigende Kurve, wenn man 60 Würfel wirft, von denen ein Drittel rot sind? Nach jedem Wurf sortierten die Kinder die roten aus und legten sie in Reihen übereinander. Weil immer weniger rote übrig blieben, bildete sich eine Kurve mit am Ende nur noch einem Würfel.
Manchmal kommt es auf die Perspektive an. Als Ronja von oben durchs Guckloch ins Miniaturhaus schaut, kommt ihr der Raum schief vor. Beim Blick von der Seite ist es ein ganz normales Zimmer. Größen einzuschätzen lernten die Acht- und Neunjährigen beim Quaderspiel: Passt der rote durch den gelben und der dann durch den blauen? »Wer etwas selbst gemacht hat, kann es sich merken und erkennt die Formen im Mathematik-Unterricht wieder«, sagte Klassenlehrerin Dagmar Voigt dieser Zeitung. Mathematik habe im doppelten Sinne mit Begreifen zu tun.
Während Schüler einen Euro zahlen, müssen Erwachsene für den Eintritt ins Museum (Telefon: 05261/94500) an Werktagen von 8 bis 16 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr drei Euro berappen. »Bildung und Bildungsideale sind das Leitthema des Weserrenaissance-Museums in diesem Jahr«, betonte Rolf Schönlau. »mathematikum« passe gut hinein, zumal in der Renaissance die Zeit der Experimente begann.

Artikel vom 16.11.2005