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»Schön für Platzeck, aber auch eine Hypothek für jede künftige Wiederwahl.«

Leitartikel
SPD-Bundesparteitag

Vom Streit haben alle
vorerst genug


Von Reinhard Brockmann
Alle wollen sie, aber es gibt sie noch nicht: die Platzeck-Partei. 99,4 Prozent Zustimmung für den neuen SPD-Bundesvorsitzenden sind mitnichten das Ergebnis totaler Hingabe der Delegierten. Der Mann hat keine Gegner, weil er noch keine Gelegenheit hatte, sich welche einzuhandeln. Zu dem Brandenburger gibt es eben keine Alternative, und von Streit haben alle fürs erste genug. Auch deshalb fiel gestern das Ja so unglaublich leicht.
Schön für Platzeck, aber auch eine Hypothek für jede künftige Wiederwahl, so er überhaupt lange genug durchhält.
Ganz offen sprechen Delegierte in Karlsruhe darüber, dass »in zwei Jahren vielleicht schon der nächste kommt«. Andere führen zwar noch keine Kandidatendebatte, beklagen aber eine gewisse Leere: »Wir wollen 2009 schließlich nicht für Angela Merkel Wahlkampf machen.«
Münteferings Schrot-und-Korn-SPD hat an die Neuen abgegeben. Als Vizekanzler und Lordsiegelbewahrer des Sozialen wird der Ex-Vorsitzende mit sieben Spitzengenossen jetzt in der großen Koalition, einem Raum frei von Parteipolitik, wirken und nach außen das Bild der SPD ganz wesentlich bestimmen. Aber die SPD ist mehr, und das ist Platzecks Platz, nämlich im Innern.
Die künftige SPD wird so sein wie die Bewerbungsrede des neuen Vorsitzenden: auf den SPD-Traditionsgebieten schwach, weil eben nicht aus der Herzkammer stammend. Bei den weniger von Kohlestaub bedeckten Themen aber ist die neue Linie ausbaufähig. Jenseits der Mühsal der Tagespolitik muss die Partei ihr Profil für die Zeit danach schärfen. Als verlässlicher Garant von Bildung, der Familien, der glücklich länger Lebenden und des technologischen Fortschritts zum Nutzen aller. Das klingt gut, ist aber auch kein Straßenfeger.
Platzeck kann immerhin belegen, dass marktradikale Politik keine Mehrheit findet in Deutschland. Auch ließ man ihn gestern von der »Kraft des Sozialstaats« so reden, als wenn es die immer noch gäbe. Auf der Suche nach den neuen Betätigungsfeldern traf Platzeck auch den richtigen Ton, als er auf Frankreich und die üble Randale selbst im beschaulichen Straßburg gleich nebenan verwies. Niemand dürfe zurückgelassen werden, sagt er.
Der Neuanfang wird Platzeck durch die Wahlergebnisse von gestern erleichtert. Denn die Partei hat Andreas Nahles ganz offenbar innerhalb von 14 Tagen verziehen. Obwohl dies garantiert nicht die letzte Aktion der furiosen Kämpferin für Links pur war, wie Platzeck sie schönredete, mag die SPD eben nicht gute, sondern freie Geister dieser Art.
Warum sich die Delegierten allerdings Sigmar Gabriel als Watschenmann des Tages aussuchten, wusste der solcherart Abgestrafte selber nicht. Er war sich keiner Schuld bewusst und hatte an seiner eigenen Wahl nicht einmal teilgenommen. Der Mann wird trotzdem Minister.
So ist sie eben, die SPD - ganz gleich ob mit oder ohne Platzeck.

Artikel vom 16.11.2005