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Soziale Unterschiede nicht
auf Jahre festschreiben

Sonderpädagogen beschäftigen sich mit Förderschulen

Sennestadt (ho). Nicht von ungefähr veranstaltete die Fachgruppe »Sonderpädagogische Berufe« der Gewerkschaft »Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Regierungsbezirk Detmold« ihren Fortbildungstag in der Sennestädter Comeniusschule. »Die hat« - so Schulleiter Lars von Bargen - »schon viele innovative Konzepte auf den Weg gebracht.«

»Perspektiven der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen« war das Thema der Veranstaltung. Die große Zahl der Teilnehmer, mehr als 120 Lehrerinnen und Lehrer von Förderschulen aus Ostwestfalen-Lippe, dokumentierte, welche Bedeutung die Thematik hat. »Vor allem auch vor dem Hintergrund steigender Schülerzahlen und mit einer schwieriger werdenden Schülerschaft«, so Brigitte Ebert, Vorsitzende der Fachgruppe Sonderpädagogische Berufe. »Unsere Ziele decken sich nicht mit den teilweise rigiden Vorstellungen der Schulministerin.«
Die Frage »Welche Schulen brauchen Kinder und Jugendliche in erschwerten Lebenslagen?« beantwortete Professor Dr. Gotthilf Hiller aus Reutlingen kurz und knapp. »Die benötigen eine Schule, die respektvollen Beistand bietet, die (Über-) Lebenskunst zu lehren imstande ist und somit Ängste bändigt und die im politischen Raum als Anwalt fungiert.«
Eine solchermaßen zentrierte Schule mache Angebote und stelle Anforderungen in vier Feldern des Lehrens und Lernens: »Sie vermittelt grundlegende Wissens- und Könnensbestände, sie erweitert und ergänzt vorsätzlich das soziale Netzwerk ihrer Schülerinnen und Schüler, sie bietet spezifische Erlebnisse und Erfahrungen und sie gewöhnt die jungen Leute an (über-) lebenstaugliche Routinen.«
In Bielefeld gibt es fünf derartige Förderschulen, im Land Nordrhein-Westfalen besuchen mehr als 50 000 Schülerinnen und Schüler diese Schulform. »In der Öffentlichkeit und auch in der Politik wird diese - in vielerlei Hinsicht - benachteiligte Schülergruppe oft übersehen. Genau dieser Personenkreis muss in Zeiten von PISA und Hartz IV die gegenwärtige Schulpolitik herausfordern, damit nicht auf Jahre hinaus die sozialen Unterschiede weiter festgeschrieben werden«, beschreibt Brigitte Ebert den Standpunkt der Gewerkschaft.
Die Qualitätsverbesserung von Schule und Unterricht stand denn auch im Mittelpunkt von 15 Arbeitsgemeinschaften, die bei der Fachtagung zu schulbezogenen Themen Erfahrungen und Erkenntnisse sonderpädagogischer Theorie und Praxis vorstellten und konzeptionell bearbeiteten.
Wie versteht sich Sonderpädagogik als Disziplin und wie und wo positioniert sie sich im System Schule? Übernimmt sie eher eine Entlastungsfunktion für die allgemeinen Schulen und versteht sie sich als Verwalterin einer Randgruppe, die aus dem Regelsystem herausfällt? Oder bringt sie sich ein in die allgemeine Pädagogik zur Unterstützung im Umgang mit einer zunehmend schwierigeren Schülerschaft? Fragen über Fragen, die die Sonderpädagogen diskutierten.
Einen wichtigen Punkt brachte Lars von Bargen aus der Erfahrung seiner Comeniusschule ein. »Die Beratung von Eltern ist für uns das A und O. Und dafür muss einfach Zeit sein, egal ob am Vormittag oder am Nachmittag. Derartige Gespräche lassen sich nicht in fünf Minuten abwickeln.« Auch ganztägige Fortbildungen für alle Lehrer müssten möglich sein. »Es bringt nichts, wenn nur Einzelmaßnahmen besucht werden. Wir brauchen auch den fachlichen Austausch.«

Artikel vom 16.11.2005