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Dubiose Kunstwerke

Exponate aus Raubgrabungen belasten Getty-Kuratorin

Rom (dpa). Als das Getty Center in Los Angeles im Dezember 1997 seine Pforten öffnete, galt es als eine der reichsten und modernsten Kunst-Kathedralen der Welt. Aber jetzt legen sich dunkle Schatten über die Schätze - von Schmuggel, Kunstraub und organisierter Kriminalität ist die Rede.

Morgen beginnt in Rom ein Prozess gegen die ehemalige Getty-Kuratorin Marion True. Die Staatsanwaltschaft wirft der 57-Jährigen vor, in den 80er und 90er Jahren mehr als 40 antike Kunstwerke im Wert von 20 Millionen Dollar angekauft zu haben, obwohl sie gewusst haben soll, dass diese aus Raubgrabungen in Süditalien stammten. »Wir haben kistenweise Dokumente, die erdrückendes Beweismaterial liefern«, sagen die Ankläger.
Zehn Jahre dauerten die Ermittlungen, 200 Zeugen - darunter Kunstexperten und Museums-Kuratoren - sind in der Ewigen Stadt vorgeladen. »Ein großer internationaler Krimi«, kommentierte die Zeitung »Corriere della Sera«. Neben True, die die Vorwürfe stets zurückgewiesen hat, ist der Schweizer Kunsthändler Emanuel Robert Hecht (86) mitangeklagt. Er soll die wertvollen römisch-etruskischen Ankäufe des Getty-Museums vermittelt haben. Der Prozess hatte bereits im Juli begonnen, war aber sofort auf den 16. November vertagt worden, weil alle Dokumente ins Englische übersetzt werden mussten.
Der Stein war 1995 ins Rollen gekommen, als in Genf fast 2000 archäologische Fundstücke sowie 4000 Fotos von Vasen, Amphoren und Skulpturen aus Raubgrabungen beschlagnahmt wurden. Auf den Bildern waren untern anderem Exponate des Getty-Museums zu sehen. Daraufhin begannen die Italiener zu ermitteln. Als »Zeichen des guten Willens« gab das kalifornische Getty-Museum bereits 1999 fünf archäologische Fundstücke an Italien zurück, darunter eine Kylix (Schale) des griechischen Vasenmalers Euphronius aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, die einst in der Nähe von Rom gefunden worden war. Erst vor wenigen Tagen erstattete das Museum drei weitere Kunstschätze zurück.
»Wir sind sicher, dass das alles mit einem Freispruch enden wird«, zeigt sich das Getty-Museum überzeugt. Sollte das Gericht True jedoch für schuldig befinden, bewusst Kunstwerke dubiosen Ursprungs angekauft zu haben, dann wäre dies eine Sensation. Denn damit würde zum ersten Mal eine Verantwortliche eines berühmten amerikanischen Museums wegen Hehlerei verurteilt.
Und das würde eine ganze Reihe von Restitutionsforderungen nach sich ziehen, angefangen bei der monumentalen »Venus von Morgantina« aus einer sizilianischen Grabung, die im Getty-Museum ausgestellt ist, bis hin zu dem dazugehörigen Silberschatz, der im New Yorker Metropolitan Museum zu sehen ist. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft waren auch hier Schmuggel und Kunstraub im Spiel.

Artikel vom 15.11.2005