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Gerhard Schröder lässt sich noch einmal feiern

SPD verabschiedet den zu Tränen gerührten Kanzler mit zwölfminütigem Dauerbeifall

Von Reinhard Brockmann
Karlsruhe (WB). »Gerd-Show, die letzte Klappe«: So grimmig dreinblickend Gerhard Schröder den Tag begonnen hatte, so locker schaffte er gestern zur besten Mittagszeit die Siegerpose.

Der Handschlag mit sich selbst über erhobenem Haupt, leichte Rückenlage, die tiefrote Krawatte über die Bauch gespannt, siegesgewisser Blick unter buschigen Augenbrauen: So liebt ihn seine Partei, so verabschiedete sie ihn gestern mit zwölf Minuten Dauerbeifall und so hatte der Wahlkämpfer Schröder seiner SPD die schon so gut wie sichere Niederlage im September erspart.
Mach's noch einmal Gerd, war bei aller Begeisterung dann allerdings auch nicht zu hören. »Solidarisch, aber frei« möchte er mit der SPD weitergehen auf einem Weg, den jetzt andere weisen müssen. Die ersten beiden großen Reden des dreitägigen SPD-Bundesparteitages waren dem Blick zurück ohne Zorn gewidmet. Franz Müntefering, der scheidende Parteivorsitzende, warf »dem Gerd« die Bälle zu: »Bleiben wird dein Mut zur Erneuerung«. Und der Kanzler auf Abruf flocht »dem Franz« die Kränze: »Du warst ein großer Parteivorsitzender in einer Reihe mit Kurt Schumacher und Willy Brandt.«
Keine fünf Minuten hatte Müntefering gesprochen, als sich Emotion erstmals Bahn brach. Agenda- und Friedenspolitik seien Schröders historische Leistung, sagte der Noch-Vorsitzende in rauschenden Beifall hinein. Feuchte Augen und starkes Schlucken - da schmolz des Kanzlers wie versteinerte Miene dahin.
Kaum ein Wort darüber, dass beide ganz entscheidend in den Lauf des Schicksalsjahres eingegriffen und zum Machtverlust beigetragen haben könnten. Müntefering beließ es bei spitzbübischem Lächeln. Die große Koalition habe die SPD »auf eine besondere Art erreicht, so war das nicht gemeint«.
Und Schröder blieb trotzig bei den sattsam umstrittenen Behauptungen »sieben gute Jahre für Deutschland« und Machtverlust wegen der »machtvollen Verbündeten der anderen bis hinein in die Presse«. Er sei am Tag nach der verlorenen NRW-Wahl vielleicht »ein wenig vorlaut gewesen«, argwöhnte Müntefering, sprach aber nicht davon, dass am Wahlabend möglicherweise die falsche Entscheidung gefallen war. Niemand nahm die Schlüsselwörter »vorgezogene Neuwahlen« danach noch in den Mund. Dafür erster Wortpragmatismus: Große Koalitionen seien wie Straßenköter, nicht reinrassig aber durchsetzungsfähiger.
Nicht abrechnen, sondern verklärt zurückblicken, danach stand den Delegierten der Sinn. Manches Taschentuch wurde gezückt, nicht nur weil die Grippe im Anmarsch ist.
Auch bei Ex-Finanzminister Hans Eichel war nicht ganz klar, was ihn betreten und schwach dreinblicken ließ. Insbesondere als Schröder ihn aufheitern wollte mit dem neuen Sparwillen der Union. Der Hans hätte mal sehen sollen, wie man mit den anderen in den Koalitionsverhandlungen habe reden können, sagte der Kanzler bester Laune. Nicht so der Angesprochene: Mit Leichenbittermiene schaute da einer verdutzt auf, der künftig nicht mehr dabei sein darf.

Artikel vom 15.11.2005