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Wirtschaftspolitischer Sprecher: Rainer Wend aus Bielefeld.

Platzeck beschwört den »guten
Geist«, der Zuversicht geben soll

Ostwestfälisch-lippische SPD-Delegierte äußern sich weitgehend positiv

Von Reinhard Brockmann
Karlsruhe (WB). »Sei ordentlich, zieh die Jacke an«, gab Ulla Schmidt ihm noch schnell mit auf dem Weg. Dann trat Matthias Platzeck gestern erstmals als künftiger Vormann ans Rednerpult. Respekt: Mit wenigen Sätzen sicherte er der großen Koalition die volle Unterstützung seiner SPD.

»Ich sehe nur zwölf bis 15 Gegenstimmen«, sagte Abstimmungsleiter Kurt Beck nach mehr als dreistündiger Debatte. Das war geschönt, allein im NRW-Block gab es ein gutes Dutzend Nein-Zeichen. »Wir wollen Dir, lieber Franz, in diese Abstimmung alles das hineinlegen, was wir von dir halten«, hatte Platzeck den Appell zur Geschlossenheit gedrechselt. Unnötig, dreimal wurde abge-stimmt: Erst über den Vertrag, dann über die be»acht«liche SPD-Ministerriege einschließlich Müntefering und schließlich über den Vize-Kanzler Müntefering. So viel Franz war noch nie.
Deutschland wolle er Stück für Stück wieder zukunftsfähig machen, sagte der Brandenburger und beschwor den »guten Geist«, der dem Land wieder Zuversicht gibt. Angst und Lethargie solle den Deutschen genommen werden. Das sieht die lippische Delegierte Ute Schäfer genau so: »Es geht nicht um CDU oder SPD, es geht um Deutschland«.
Wie Gerhard Schröder lehnt die frühere nordrhein-westfälische Schulministerin das Aufrechnen einzelner Verhandlungsteile ab. Auch einzelne Gegenstimmen aus den Reihen der Jusos überraschten sie nicht, das entspreche der Diskussionslage nicht nur im heimischen Kreisverband. Auch wenn nicht mehr nachverhandelt werden könne, müsse jetzt der Schritt zur Großen Koalition gewagt werden. Schäfer bedauert unisono mit der Paderborner Hochschulexpertin Ute Berg, dass das Bildungsressort auf Bundesebene geteilt und geschwächt werde. Auf Ebene der Kultusministerkonferenz sei viel erreicht worden, deshalb seien die Rücknahmen »knifflig«, bedauert sie.
Um den heimischen Hochschulen weiter in Berlin die Türen offen halten zu können, wechselt sie in den neuen Ausschuss für Wirtschaft und Forschung. Dafür wird Rainer Wend aus Bielefeld den Vorsitz des ohnehin zu teilenden Wirtschaftsausschusses abgeben und als wirtschaftspolitischer Sprecher »mehr gestalterisch arbeiten«.
Wachstumsimpulse durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten, ein energetisches Wohnraumprogramm, die Bereitschaft zu Kombilohn-Modellen und die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen sind für Wend Pluspunkte, die die Zustimmung leicht machen.
Ein äußerst ungutes Gefühl wegen der steigenden Mehrwertsteuer verbindet den SPD-Wirtschaftspolitiker Wend mit Ex-Verkehrsminister Axel Horstmann. Der ostwestfälisch-lippische Bezirkschef gibt unumwunden zu, dass diese Kröte nur schwer zu schlucken sei. »Das zu verhindern, war ein zentrales Wahlkampfanliegen.«
Horstmann bucht auf der Habenseite, dass mit dem Festhalten am Kernkraft-Ausstieg auch der Handlungsdruck zur Modernisierung konventioneller Kraftwerke bleibe. Außerdem möchte Horstmann lieber nicht darüber nachdenken, was noch alles hätte gekürzt werden müssen, wenn man ohne Mehrwersteuererhöhung auskommen müsste. Vier Nullrunden für Rentner zeigten, wie dramatisch die Lage sei.
Unumwunden zustimmend zeigte sich die heimische Europa-Abgeordnete Mechtild Rothe mit den für sie wichtigen Vertragsteilen. »Wir haben eine klare Position zu Europa, auch die Handlungsfelder Umwelt und Energie sind auffällig positiv ausgefallen.« Zustimmung findet auch die Leitlinie für Verhandlungen mit der Türkei über eine Vollmitgliedschaft oder ein privilegiertes Verhältnis in dem Doppel-Fall, dass entweder eines fernen Tages die EU nicht aufnahmebereit oder die Türkei nicht beitrittsfähig sein sollte.

Artikel vom 15.11.2005