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»Wir müssen aufhören zu leiden
und jetzt anfangen zu arbeiten«

Tage der Ehrfurcht: Die CDU sagt trotz Kritik klar Ja zur Koalition

Von Marc-Oliver von Riegen
Berlin (dpa). Wenige Tage nach dem Abschluss des Koalitionsvertrags ist die zurückhaltende Freude in der CDU der nüchternen Analyse gewichen. CDU-Chefin Angela Merkel, die in der kommenden Woche Kanzlerin werden soll, kam der Kritik zuvor.

»Bitte ein kleines bisschen Ehrfurcht«, forderte sie im schwarzen Kostüm mit Pink von den 116 Delegierten des kleinen Parteitags gestern in Berlin. »Diese Koalition hat auch eine Chance verdient, erstmal was zu machen.« Doch Merkel ahnte vor der Entscheidung über die Vereinbarung mit der SPD bereits, dass es nicht leicht sein würde, alle zu überzeugen.
Die CDU-Delegierten sparten in der knapp zweistündigen Debatte denn auch nicht mit harscher Kritik. An der Basis gärt es. »Die Stimmung ist nicht gut«, sagte der nordrhein-westfälische Delegierte Lothar Hegemann. Besonders wenn der Name von CSU-Chef Edmund Stoiber falle. Er gab der CSU den Rat mit auf den Weg: »Bleiben Sie nicht auf halbem Weg stehen.«
Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, hatte »große Bauchschmerzen«, wollte aber für die Vereinbarung mit der SPD stimmen. Vorstandsmitglied Heinrich-Wilhelm Ronsöhr vermisste mehr Reformen am Arbeitsmarkt und nannte dies einen »kardinalen Fehler«.
Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, monierte drei »Webfehler« im Vertrag: Steuererhöhungen und zu wenig Reformen am Arbeitsmarkt sowie bei den Sozialsystemen. »Das wird eine Belastung dieser Koalition.« Merkel sah bei der Kritik nicht gerade glücklich aus. »Da kann man jetzt lange drüber reden, ob das alles optimal ist«, sagte sie. Doch sie bemühte den ersten CDU-Kanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, Konrad Adenauer: »Politik ist nicht die Kunst des Wünschbaren, Politik ist die Kunst des Möglichen.«
Die Kernfrage beim Parteitag lautete: Wie viel aus dem Unions- Wahlprogramm ist umgesetzt, und was nicht? Die CDU-Chefin zitierte ein Flugblatt aus dem Wahlkampf und zählte auf: Klarheit, Verlässlichkeit, Zukunft von Familie und Kindern, Arbeit und Wachstum sowie Zuversicht. Und das werde doch kommen. »Wir konnten jetzt noch nicht mehr erreichen.«
Sie verteidigte die geplanten Einschnitte, den verfassungswidrigen Haushalt 2006 und die Erhöhung der Mehrwertsteuer und beschwor den »guten Geist« mit der SPD, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
So harsch die Kritik aus der zweiten Reihe, so deutlich waren auch die Appelle von CDU-Spitzenpolitikern, dem Werk zuzustimmen. Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger mahnte »etwas mehr Stolz und etwas mehr Freude« an. Und der Sprecher der Mittelstandsvereinigung in der Fraktion, Hartmut Schauerte, sagte: »Wir sind froh, dass wir nun die Kanzlerin stellen.«
Und CDU-Vize Christoph Böhr betonte: »Die Erwartung ist, dass begonnen wird, dass regiert wird.« Die Alternative sei eine erneute Neuwahl.
Die Losung für die nächsten Tage gab Hessens Ministerpräsident Roland Koch aus, der den Delegierten zurief: »Wir müssen jetzt aufhören zu leiden und anfangen zu arbeiten.« Am Ende, nach knapp drei Stunden, war dann doch wieder alles gut in der CDU. Nur drei Nein-Stimmen, unter anderem von Ronsöhr, eine Enthaltung von Schlarmann. Merkel zeigte ein kleines Lächeln. Mit einem schlichten »Dankeschön für die Debatte«, entließ sie die Delegierten.

Artikel vom 15.11.2005