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»Nicht alles mies machen«

Parteitage von CDU, CSU und SPD stimmen großer Koalition zu

Berlin (dpa/Reuters). Die zweite große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik ist endgültig perfekt. Gut zwei Monate nach der Bundestagswahl machten die Parteitage der künftigen Regierungspartner CDU, CSU und SPD mit überwältigender Mehrheit den Weg für das Bündnis frei.
Die CDU-Chefin und künftige Kanzlerin Angela Merkel nannte die Koalition gestern in Berlin die »einzig verantwortbare Perspektive«. Beim Karlsruher Parteitag der SPD erhielt außerdem Parteichef Franz Müntefering ein klares Mandat für seinen Eintritt als Vizekanzler in die Regierung. Die CSU gab in München einstimmig den Weg frei für die Koalition.
Mit scharfen Worten wiesen Merkel und weitere Unions-Spitzen die Kritik aus Wirtschaft, Verbänden und den eigenen Reihen an der Koalitionsvereinbarung zurück. Es dürfe nicht die »Zuversicht kaputt« und »alles mies« gemacht werden, sagte die CDU-Chefin beim kleinen Parteitag vor 116 Delegierten. »Die Koalition hat auch eine Chance verdient, erst mal etwas zu machen.«
Müntefering warb in Karlsruhe eindringlich für die große Koalition. CSU-Chef Edmund Stoiber sicherte Merkel seine volle Unterstützung zu. Zugleich entschuldigte er sich für seinen Rückzug aus Berlin.
Beim kleinen CDU-Parteitag stimmten nur drei von 116 Delegierten gegen die Vereinbarung, einer enthielt sich. Nach verhaltener Kritik an einzelnen Punkten stimmte der SPD-Parteitag in Karlsruhe ebenfalls einem Regierungsbündnis mit der Union zu. Gegen die Koalitionsvereinbarung stimmten etwa 15 von den etwa 500 Delegierten, fünf enthielten sich. Bei der CSU gab es von den 200 Delegierten weder Gegenstimmen noch Enthaltungen.
Die SPD-Delegierten stellten sich mit großer Mehrheit hinter den geplanten Wechsel Münteferings als Vizekanzler und Arbeitsminister ins Kabinett. Es gab nur eine Gegenstimme.
Der noch amtierende SPD-Chef Müntefering und der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten die Delegierten auf die große Koalition eingeschworen. »Regieren ist nie leicht, Koalitionen sind nie leicht - aber lasst es uns versuchen«, sagte Müntefering. Schröder sieht in dem Bündnis die Chance, »diese parteitaktischen Blockaden, die Verhinderungsmätzchen oder auch die Mikado-Mentalität in der deutschen Politik« zu überwinden.
In der CDU-Debatte hatte es vereinzelt Kritik an dem Verhandlungsergebnis gegeben. Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, bemängelte, dass es keine grundlegenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt gebe. Bei der CSU wurde kritisiert, dass keine betrieblichen Bündnisse für Arbeit vereinbart wurden.
Enttäuscht zeigten sich gestern auch die Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe. IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff bemängelte unter anderem die Verschiebung einer großen Reform der Unternehmensbesteuerung.

Artikel vom 15.11.2005