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Ein Bach-Konzert der Extraklasse

Osnabrücker Chor präsentierte in St. Bartholomäus Vokalmusik für höchste Ansprüche

Von Gustav-Adolf Lent
Senne (WB). Nur eine spärliche Anzahl von Zuhörern fand den Weg zu einem Chorkonzert des Bach-Chores Osnabrück, das - ganz im Zeichen des Totengedenkens stehend - in der St.Bartholomäus-Kirche in Senne geboten wurde.

Dem »Förderkreis für Musik« und der besonderen Initiative des Philharmonikers Klaus-Joachim Dudler war es gelungen, einen Chor der Extraklasse zu präsentieren, der höchsten Ansprüchen an Vokalmusik genügt und einen wahrlich besseren Besuch verdient gehabt hätte.
Was soll man an diesem Chor mit seinen zurzeit 70 Sängern und Sängerinnen und unter dem agilen und fordernden Dirigenten Arne Hartje mehr bewundern: Seine klangliche Homogenität, seine bestechende Diktion, seine jubelnden, glasklaren Soprane, seine satten Bässe oder die Art, wie jeder Wink des Dirigenten in dynamischen Klang umgesetzt wurde?
In den achtstimmigen Bach-Motetten »Komm, Jesu, komm« und »Fürchte dich nicht«, die von Johann Sebastian Bach als Trauermusiken für Leipziger Bürger konzipiert und hier als programmatische »Klammer« dienten, bewies der Chor seine Fähigkeit, die enormen Spannungsbögen in Stimmführung und klanglicher Balance auf die gebannt lauschenden Zuhörer zu übertragen. Dies gelang besonders in der Doppelfuge mit dem unterlegten Liedtext im Sopran - eine der ergreifendsten Stellen in Bachs Vokalmusik überhaupt - und führte zu einer starken Wirkung.
Als Beispiel moderner Kirchenmusik stand Henk Badings (1907-1987) Requiem (Introitus). Hierbei hatte sich der Chor im Kirchenraum verteilt. Er zitierte in gregorianischer Manier den Requiem-Text in auf- und abschwellenden Tonskalen, kreisenden und abstürzenden atonalen Tonfolgen - bis hin zum Sprechgesang in einer unter die Haut gehenden Art. Das Stimmengewirr endet in einem ersterbenden, verklingenden Ton.
Der »Totentanz« für Sprecher, Flöte und Auswahl-Chor von Hugo Distler bildete den Hauptteil des Konzertes. Inspiriert ist er von der berühmten Darstellung des »Totentanzes« in der Lübecker Marienkirche. In der manchmal etwas spröden, von neobarocken Anklängen durchzogenen Tonsprache Distlers - während des Nationalsozialismus als »entartet« verpönt - wird der Mensch in seiner ganzen Vielfalt auf seine eigentliche Bestimmung, seine Vergänglichkeit, hingewiesen.
Zwischen den 14 gesungenen Sprüchen fordert der Tod (Harald Gieche) die Vertreter der verschiedenen Stände (Thomas Wolff) sowie Martina Müller und Hanna Ehlers als »junge Frau« und »kleines Kind« zu einem gespenstischen Reigen. An dessen Ende ist der Tod der Sieger. In diesen Reigen fällt auch die Soloflöte, von Brigitta Dudler beseelt und klangschön gespielt, mit der Partita »Es ist ein Schnitter heißt der Tod«, ein.
Mit Arvo Pärt (1935) folgte ein weiterer »Neuerer« der Kirchenmusik. Bei seinem Psalm »An den Wassern zu Babel« für Chor und Orgel, schwingen sich über einem Bordun-Klang der Orgel (gespielt von Arne Hartje) vokale Klagegesänge von piano bis forte empor - bis sie plötzlich abreißen.
Besonders beeindruckte hier die Klarheit der Mittel. Gleiches gilt auch für das letzte Werk, die Motette »Wie liegt die Stadt so wüst«. Sie wurde von Rudolf Mauersberger, dem Leiter des berühmten Dresdener Kreuzchores, 1945 nach der Zerstörung Dresdens komponiert. Diesem hervorragendem Chor, der alle Facetten der sängerischen Stilmittel dank seines motivierenden Leiters vollkommen beherrscht, gelang besonders die Klangdynamik und Ausleuchtung der Motette in beeindruckender Manier.
Man hätte diesen Hörgenuss einem größeren Auditorium gegönnt. Tosender Beifall war der Lohn für alle Mitwirkenden.

Artikel vom 16.11.2005