14.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Herbert Wehner verlor zwei Zähne, als die SPD vor 37 Jahren die erste große Koalition billigte.

Prügelszenen sind diesmal nicht zu erwarten

Heute SPD-Parteitag in Karlsruhe - Erinnerungen an Turbulenzen um erste große Koalition

Von Joachim Schucht
Karlsruhe (dpa). Draußen vor dem Parteitag spielten sich turbulente Kämpfe ab. Damals!

Bei Raufereien mit aufgebrachten Demonstranten verlor Partei-Vize Herbert Wehner zwei Zähne. SPD-Chef Willy Brandt bekam einen kräftigen Schirmhieb auf den Schädel. Auch in der Halle ging es zwischen den verkrachten Genossen zünftig zu. Ein Randalier schüttete einem anderen ein Glas Wein ins Gesicht.
Ein Delegierter fragte vom Mikrofon aus, ob es eigentlich sozialdemokratisch sei, Richtungskämpfe in Messerstechereien ausarten zu lassen. »Dir hätten sie auch einmal die Fresse polieren müssen«, ging Wehner einen Kontrahenten an.
Das war vor gut 37 Jahren, als die SPD im März 1968 in aufgeheizter Stimmung daran ging, auf einem Parteitag in Nürnberg über die erste große Koalition mit der Union abzustimmen. Brandt und Wehner hatten aus Furcht vor einer Niederlage das Delegiertenvotum über das ungeliebte Bündnis 16 Monate hinausgezögert.
Trotzdem entging die Spitze nur mit Ach und Krach einem Debakel. Mit gerade mal vier Stimmen Vorsprung konnte der SPD-Vorstand seine Linie durchsetzen. Fast die Hälfte verweigerte der Führung den Gehorsam.
Unter anderen, aber nicht weniger brisanten Vorzeichen kommen von heute an in Karlsruhe die SPD-Delegierten zusammen, um erneut über eine große Koalition abzustimmen. Wütende Proteste vor und in der Messehalle dürften sich diesmal in Grenzen halten.
Nachdem sowohl die Parteirechte als auch die Linke in seltener Eintracht bereits ihr Ja zum Koalitionsvertrag signalisiert und darin übereinstimmend eine klare »SPD-Handschrift« erkannt haben, wird mit breiter Zustimmung gerechnet.

Artikel vom 14.11.2005