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Der erste selbstbewusste Bauer

»Stein von Olderdissen«: Jahresbericht des Historischen Vereins erschienen

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Druck und Layout werden immer besser: Der druckfrische Jahresbericht (15 Euro) des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, die 90. Ausgabe mittlerweile, vereint spannende Themen mit ansprechender bildlicher Darstellung.

Historiker sind wohl die einzigen Geisteswissenschaftler, die es verstehen, ihre Forschungsergebnisse allgemein verständlich zu präsentieren. Als bestes Beispiel mögen die Texte im neuen Jahresbericht gelten, »aus deren Mitte man keinen herausheben mag«, wie es Johannes Altenberend, Vorsitzender des Historischen Vereins, am Freitag formulierte.
Wenn hier der Aufsatz der Historiker Gertrud Angermann und Heinrich Rüthing im Vordergrund steht, dann deswegen, weil er sich mit einem einzigartigen Gegenstand beschäftigt: mit dem »Stein von Olderdissen«, einem für seine Entstehungszeit (1544) in der alten Grafschaft Ravensberg einzigartigen Zeugnis bäuerlichen Selbstbewusstseins. Er wurde beim Abbruch des ehemaligen Wohngebäudes gefunden, das bis zum Jahreswechsel 2003/04 an der Nordseite des jetzt als Café genutzten Baus (einst der Wirtschaftsteil des Hofes) neben dem Wisentgehege des Tierparks Olderdissen stand.
Der gut 120 Kilogramm schwere Sandsteinblock, der nun in einer Ecke des Cafés hängt, trägt die Inschrift »Megger Frans to Alderdisce MVCXXXXIIII« (Meier Franz zu Olderdissen 1544). Ihn schmückt ein Wappen, und Gertrud Angermann plädiert dafür, es zeige ein Horn. »Das dürfte bedeuten, dass der Meier zu Olderdissen eine Wächterfunktion ausübte: Bei Gefahr warnte er die Bevölkerung mit Hornsignalen«, sagt die Historikerin.
Der Aufsatz besteht zu einem Gutteil aus der Beschreibung des großen Hofes Olderdissen, dessen Besitzer, eben wegen des einmaligen Steins, der erste Bauer Westfalens ist, der aus dem Schatten der Anonymität heraustritt und zu einem historisch fassbaren Individuum wird. Der Block dürfte ursprünglich am Eingang eines Wehrspeichers eingesetzt gewesen sein, eines Baus also, der in ruhigen Zeiten Korn aufnahm und im Kriegsfall den Hofbewohnern Zuflucht bot. Vergleichbare Steine, an Bürgerhäusern und Adelssitzen damals nicht selten, begegnen uns im bäuerlichen Umfeld anderswo erst 40 Jahre später.
Die Autoren des Jahresberichts widmen sich weiteren hochspannende, zum Teil erstmals beschriebene Themen. So erfasst Martin Klein Veränderungen des katholischen Milieus Bielefelds, Birgit Schepers beschreibt die Kriegsarbeit heimischer Frauen, und Andreas Kamm richtet den Blick auf die barocken Kronleuchter in Bielefelder Kirchen.
Nächster Höhepunkt in den Vereinsaktivitäten ist die Verleihung des Gustav-Engel-Preises an Barbara Randzio. Die junge Historikerin erhält die Auszeichnung am Samstag, 19. November, für ihre Magisterarbeit zur Psychiatriereform (1967-96) am Beispiel der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. »Die Würdigung erfolgt auch wegen ihrer Forschungen zum Anstaltsbereich Eckardtsheim«, erklärte Rüthing.

Artikel vom 12.11.2005