14.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Erinnerungen an Tod und Hunger

Zeitzeugen berichten über ihre Erlebnisse auf der Flucht und nach Vertreibung

Gütersloh (kh). Einigen der Erzähler zitterten selbst heute, 60 Jahre nach Kriegsende, noch die Stimme, als sie von ihrer Flucht oder Vertreibung aus den damaligen Ostgebieten sprachen. Unter dem Titel »Vertrieben und angekommen« berichteten Gütersloher am Freitag im Stadtmuseum eindrucksvoll und emotional über ihre ganz persönliche Geschichte.

Moderiert wurde die Veranstaltung, die in Kooperation von Heimatverein und Volkshochschule stattfand, von dem ehemaligen Pressesprecher der Stadt, Hans-Dieter Musch. Gebannt lauschten die Zuhörer den Erzählern und erinnerten sich an eigene Erlebnisse. Keinen Wert legten die Organisatoren dabei auf historische Genauigkeit. Nacheinander berichteten die Geflüchteten oder Vertriebenen von ihrem Schicksal.
Peter Gehrmann etwa war sechs Jahre alt, als er mit seiner Mutter und dem älteren Bruder aus Ostpreußen vor den Russen flüchten musste. Insgesamt zweieinhalb Jahre dauerte die Flucht. Vergewaltigte Frauen, sterbende Kinder, nagender Hunger - diese Erinnerungen prägten sich tief bei ihm ein. Aber auch das Weihnachtsfest während der Flucht, bei dem die Mutter einen Baum mit einer Kerze und sogar Geschenken für die Kinder organisiert hatte, ist ihm im Gedächtnis geblieben.
Über die CSSR flüchtete Elfriede Norik von Breslau aus. Auch sie hatte erschütternde Szenen erlebt. Der Fahrer ihres Fluchtautos wurde von tschechischen Soldaten erschlagen, ein anderer Mitfahrer erschossen. Von einem Lager ins nächste ging die Odyssee von Elfriede Norik, bis sie endlich nach Gütersloh zu ihrer Mutter kam.
Schreckliches hatte auch Melita Buhr erlebt, die aus Mecklenburg geflohen war. Ihr Mann hatte als angeblicher Spion in der Ostzone im Zuchthaus gesessen und auch Folter ertragen müssen. Nach seiner Entlassung schaffte die Familie die Flucht in den Westen. Viereinhalb Jahre Sibirien mit harter Arbeit und Hunger prägten Margarete Metze, bevor sie zu einer Tante nach Warendorf kam. Auch Ursula Hanke hatte es schwer getroffen. Sie konnte nicht gemeinsam mit ihrer Mutter fliehen und sah diese erst drei Jahren später wieder.
Eine etwas andere Geschichte erzählte Dr. Helmut Gatzen. Nachdem Aachen ausgebombt worden war, kam er nach Naumburg. Er berichtete von den vielen Flüchtlingen vom Osten in den Westen und der Wehrmacht, die vom Westen in den Osten zog. Auch den Todesmarsch der Gefangenen des KZ Buchenwald beobachtete er, ohne damals zu begreifen, was er gesehen hatte. Diese Erkenntnis setzte sich erst später durch.
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnten sechs weitere Zeitzeugen ihre Erlebnisse nicht mehr erzählen. Diese und interessierte Zuhörer sind jedoch am Freitag, 20. Januar 2006, um 16 Uhr zu einer weiteren Veranstaltung ins Stadtmuseum eingeladen.

Artikel vom 14.11.2005