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Franz Müntefering

»Wer will, dass Deutschland einen guten Weg nimmt, muss uns eine Chance geben.«

Leitartikel
Parteitage stimmen ab

Dreifaches Ja mit offenem Verfallsdatum


Von Reinhard Brockmann
Gleich drei Parteitage werden heute zeitgleich über den Koalitionsvertrag abstimmen. SPD, CDU und CSU dürften das Kompromisspapier annehmen. Dennoch werden sie es damit noch lange nicht verdaut haben.
Im Gegenteil, die Strategie sieht vor, und sie ist die einzig richtige, bevor die Schluckbeschwerden stärker werden, sollen die Delegierten die Hand gehoben haben. Alles, was die Politik seit 2002 als Katalog der Grausamkeiten, der Zumutungen oder als sozialen Kahlschlag diskutiert hat, ist nichts gegen die Einschnitte, die nunmehr bevorstehen. Dabei haben sich Union und SPD nur aufs Mittelmaß einigen können, und doch werden Rekordschulden und Extrembelastungen auf die Deutschen zukommen.
Noch haben die Parteien gar keine Rückmeldung von der Basis, aber schon sollen Delegierte für zusammengenommen 1,2 Millionen Mitglieder von CDU, CSU und SPD ein Votum abgeben. Das geht nicht auf, nicht mit 450 Genossen aus den Bezirken, und schon gar nicht bei den kleinen Parteitagen der Union, wo fast jeder Delegierte mittelbar am Zustandekommen des Koalitionsvertrages beteiligt war.
Damit bleibt das Verfallsdatum der großen Koalition offen.
Krötenschlucken und Gewürge finden später statt. Praktisch äußert sich so etwas in Parteiaustritten bei den Großkoalitionären und Zulauf bei Grünen, Linkspartei und FDP. Im gelben Lager hat das Frohlocken bereits begonnen.
Gut für die SPD, dass sie ihren Delegierten noch etwas anderes zum Kauen auftischen kann. Der Rückzug Gerhard Schröders ist verdaut, aber mitnichten der Sturz von Franz Müntefering.
Matthias Platzeck dürfte als in dunkler Nacht entdeckter weißer Ritter und Retter von SPD pur ein ansehnliches Ergebnis erzielen. Aber die Vize-Bewerber Ute Vogt und Elke Ferner müssen um vorzeigbare Zustimmung bangen.
Auch ist unklar, wie der künftige Generalsekretär Hubertus Heil abschneidet. Er ist als Strippenzieher im Vorfeld des gerade einmal zwei Wochen zurückliegenden Ränkespiels um Kajo Wasserhövel enttarnt. Vor allem die 28 alten Mitglieder des erweiterten Parteivorstands müssen auf kalte Güsse gefasst sein. Sie gelten als die wahren Missetäter.
Gewählt ist ,wer aus nunmehr 45 Kandidaten für 37 zu besetzende Stühle mehr als die Hälfte der Stimmen erhält. Das könnte für Andrea Nahles und andere aus dem Umfeld von Sigmar Gabriel, Edelgard Bulmahn und Wolfgang Jüttner zur Berg- und Talfahrt geraten. Sie müssten dann satzungsgemäß die Hintertür benutzen: »Haben die Kandidaten diese Mehrheit nicht erhalten, findet ein weiterer Wahlgang statt.« Dann rückt vor, wer die meisten Stimmen hat.
Ach ja, die SPD diskutiert auch noch über 270 weitere Anträge, besonders über Bildung. Das verändert zwar nichts, aber ist entspannender als der Basis mehr »Merkel«-Steuer verkaufen zu müssen, als sich die Union in ihrem verkorksten Wahlkampf selbst zu sagen getraute.

Artikel vom 14.11.2005