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Nullnummer von großem Wert

Trainer Klinsmann richtet Lob-und-Dank-Rede an die Nationalspieler

Paris (dpa). Als Jürgen Klinsmann seine ausgepowerten Spieler weit nach Mitternacht mit einer Lob-und-Dank-Rede in die lange Winterpause entließ, war die WM-Welt der Fußball-Nationalmannschaft wieder in bester Ordnung.
Denn selten zuvor war eine Nullnummer so wertvoll wie die in Paris gegen Frankreich. »Wir gehen sehr optimistisch ins WM-Jahr. Wir sind überzeugt, dass wir dort etwas reißen können. Wir sind mehr als im Soll«, sagte Klinsmann, als er die Bilanz eines Jahres zog, das mit sieben Siegen, fünf Unentschieden und drei Niederlagen einer Nerven aufreibenden Achterbahnfahrt glich.
Erleichterung und Zuversicht beherrschte auch die Ansprache des DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder. »Es ist schön, dass wir das Spiel auf Augenhöhe bestritten haben. So sind die drei Monate Pause bis zum nächsten Länderspiel besser zu überstehen«, betonte Mayer-Vorfelder. Erst am 1. März steht auswärts in Italien die nächste Reifeprüfung bevor.
Aus dem von Klinsmann einkalkulierten Leistungsloch nach dem Jahres-Höhepunkt beim Confederations Cup, »den wir erfolgreich durchgezogen haben«, hat sich die Azubi-Auswahl um den trotz einer Oberschenkel-Zerrung vorbildlich voranschreitenden Kapitän Michael Ballack befreit. »Die Spieler haben gezeigt, dass sie aus dem Tief heraus sind. Sie waren frischer, konzentrierter und fitter«, lobte der Trainer. »Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht, gegenüber der EM 2004 sind wir viel stärker geworden«, erklärte der Bremer Torsten Frings.
Aber um den 5895 Meter hohen Kilimandscharo zu erklimmen, mit dem Klinsmann den von ihm propagierten WM-Titelgewinn bildlich beschrieb, verlangt er noch mehr Einsatz. »Wer herausragen möchte, muss noch mehr tun - und das werden wir auch. Wir wollen bis zum WM-Ende am 9. Juli 2006 dabei sein.« Wie schmal der Grat zwischen Gipfelsturm und Absturz sein wird, bewiesen die 90 intensiven Minuten in Paris. Die hätten den »Charakter eines WM-Spiels« gehabt, meinte Thierry Henry. Der Stürmerstar hätte die Partie ebenso für Frankreich entscheiden können (19.) wie Bastian Schweinsteiger für Deutschland. Er scheiterte jedoch freistehend am glänzend reagierenden Grégory Coupet (54.). »Eine Situation kann reichen und alles wird kaputt gemacht - und man ist bei der WM raus im Achtelfinale oder Viertelfinale«, sagte Klinsmann.
Diese Millimeter-Entscheidungen dürften nicht außer Acht gelassen werden, forderte Mayer-Vorfelder. »Ich warne davor, nur den WM-Titel als Erfolg zu sehen«, sagte der Verbandschef, der auch den 16. erfolglosen Anlauf, wieder einen Großen des Weltfußballs zu schlagen, positiv uminterpretierte. »Wenn immer gesagt wird, man gewinnt nicht gegen die Großen, muss man auch sagen, dass man kaum noch gegen die Großen verliert.« Von den letzten sechs Giganten-Duellen ging nur das gegen Brasilien im Halbfinale des Confed-Cups mit 2:3 verloren.
In Paris hätte die »schwarze Serie« nach mehr als fünf Jahren durchaus enden können. Beim ersten torlosen Unentschieden unter Klinsmann zählte vor allem die Stabilität in der Abwehr, zu der auch die Systemumstellung mit einem defensiver agierenden Ballack beitrug. »Wir haben zum ersten Mal ziemlich perfekt das 4-4-2 gespielt. Das war vom System ein tolles Spiel von uns«, meinte Torwart Jens Lehmann.
Angefangen bei den Stürmern über das Mittelfeld bis hin zur Viererkette, in der die beiden 21- jährigen Per Mertesacker und Robert Huth flankiert von den Außen Arne Friedrich (26) und Marcell Jansen (20) ein Gesellenstück ablieferten, erwies sich die gesamte Defensive als kompakt. »Für unsere Innenverteidigung ist so ein Spiel Gold wert«, sagte Klinsmann. Das Vertrauen, Huth zu bringen, wurde vom Dauerreservisten mit Leistung zurückgezahlt. »Wie er sich ohne Spielrhythmus bei Chelsea präsentiert hat, war beeindruckend«, sagte Klinsmann.
Im Tor dokumentierte Herausforderer Lehmann, warum er sich bei der WM nicht noch einmal als Nummer zwei auf die Bank setzen will. Die Entscheidung über die Fortführung der Torhüter-Rotation vertagte Klinsmann auf Mitte bis Ende Februar: »Es ist noch nicht klar, wie wir mit der Torhüter-Situation umgehen wollen.«

Artikel vom 14.11.2005