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Das Zuhause in der City finden

Neue Studie zeigt den generellen Wunsch nach Rückkehr in die Stadt auf


Von Stefan Schütt
Jahrzehntelang war es so: Wer konnte, packte seine sieben Sachen, verzog sich aus den Innenstädten ins Umland und baute dort ein Häuschen. Zu unattraktiv erschienen die Zentren gerade der Großstädte. Doch dieser Trend raus aus der City scheint der Vergangenheit anzugehören. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik mit dem Titel »Wohnen in der Innenstadt -ĂŠeine Renaissance?« zeigt auf: Die Menschen entdecken vor allem innenstadtnahe Quartiere wieder als attraktiven Wohnort. Mancherorts nimmt die Einwohnerzahl dort bereits wieder zu. Aber nicht alle, die nahe der Innenstadt wohnen möchten, haben dazu auch die Möglichkeit.

Die Studie, deren Autoren einen genauen Blick in innenstadtnahe Stadtteile in Leipzig (Schleußig) und München (Glockenbach-/Gärtnerplatzviertel) geworfen haben, verdeutlicht, dass das Interesse am Wohnen in der Innenstadt keine Modeerscheinung ist. Offenbar fördert der grundsätzliche Wandel der Lebensbedingungen in den Städten diesen Prozess: So ist in den Großstädten - meist im Citybereich - die Zahl der hochqualifizierten Arbeitsplätze gestiegen, was dort zu einer vermehrten Nachfrage nach Wohnraum geführt hat. Die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und der Eintritt ins Informationszeitalter, so die Studie, begünstigen einen Lebensstil, bei dem die Trennung von Wohnen und Arbeit hinfällig wird und die Standorte wieder näher zueinander rücken.

Vor allem die Attraktivität des innenstadtnahen Bereichs wurde von Bewohnern als Grund dafür genannt, warum sie lieber nahe der Stadtmitte leben wollen. Hätten sie die freie Wahl, würden nur 3,8 Prozent der befragten Bewohner des Untersuchungsgebiets in Leipzig und 6,8 Prozent in München im Umland wohnen wollen. Angesichts der Parkplatznot konnten sich sogar 45 Prozenten der Befragten in München vorstellen, auf ihr Auto zugunsten des Wohnens in der City zu verzichten.

Verzichten müssen sie dort natürlich auf das freistehende Einfamilienhaus - es gilt seit Jahrzehnten als das unangefochtene Wohnleitbild und ist mit Abstand die favorisierte Wohnform der Deutschen. Doch die Bedingungen, die dem Wohnleitbild »freistehendes Einfamilienhaus« zum Durchbruch verhalfen, wie zum Beispiel die belastete Umwelt oder die enge Wohndichte in der Stadt, haben sich inzwischen vielerorts verbessert. Vermutlich wird das Eigenheim mit Garten deshalb seine Dominanz als Wohnleitbild zumindest für bestimmte Bevölkerungsschichten verlieren.

Laut Studie ist es überwiegend die (gehobene) Mittelschicht, die in innenstadtnahe Quartiere wechselt und bestimmte Areale für sich wieder entdeckt. In den Untersuchungsgebieten in Leipzig wie München ist das Bildungsniveau außerordentlich hoch und liegt - wie das Haushaltseinkommen - über dem jeweiligen städtischen Durchschnitt. Aufgrund der sozialen Unterschiede der Gesellschaft bilden sich auch in der Innenstadt zunehmend Viertel mit besonderen sozialen Milieus: Gleiche Anschauung und gleicher Lebensstil führen Menschen in einem von ihnen bewusst gewählten Quartier zusammen. Die Studie verdeutlicht jedoch auch, dass das Wohnen in der City nicht zwangsläufig einen bestimmten Lebensstil-Vertreter anspricht, sondern dass die Innenstadt als Wohnort von Menschen unterschiedlichster Lebensstile bevorzugt wird.

Ein großes Problem sind nach wie vor die Preise für Wohnraum in der City: Gerade im renovierten Bestand des innenstadtnahen Bereichs wird das Leben immer teurer. Da, wo auf Brach- und Recyclingflächen Wohnraum geschaffen wird, ist dieser für viele Menschen oft gar nicht mehr bezahlbar. Breiten sich die vorhandenen Gebiete mit einer wohlhabenderen Bevölkerung in den Innenstädten weiter aus, wird die Folge sein, dass finanziell schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen aus citynahen Wohnvierteln zunehmend verdrängt werden.

Dabei sind die Innenstadt und innenstadtnahen Gebiete gerade auch bei jungen Familien beliebt. Auffällig dabei ist, dass laut Studie das Wohnen in der City von diesen Gruppen nicht von vornherein als familien- oder kinderfeindlich empfunden wird. Die Befragungen aus Leipzig und München zeigen auf, dass junge Familien oder Haushalte, die vor der Familiengründung stehen, in ihren innenstadtnahen Vierteln eigentlich bleiben möchten und nur über einen Umzug nachdenken, weil sie mehr Platz brauchen. Die gewünschten größere Wohnungen finden sie aber meist nicht im bisherigen Wohngebiet - jedenfalls nicht zu bezahlbaren Preisen.

Das Abwandern ins Umland passiert vielfach also vor allem aus finanziellen Gründen. Gerade Familien brauchen, um bleiben zu können, adäquaten Wohnraum in der Stadt, bezahlbare Wohnungen mit ausreichender Quadratmeter-Zahl. Die Studie fordert, dass ein neues Leitbild entwickelt werden muss - nämlich das des familien- und kindgerechten Wohnens für die Innenstädte. Hoffentlich greifen die Verantwortlichen in Stadtplanung und Wohnungswirtschaft diesen Gedanken rasch auf.

Artikel vom 19.11.2005