14.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Blick über den Kistenrand

Ausstellung in der Petri-Kirche: Feldpostbriefe inspirierten zu Zeichnungen

Versmold (igs). »Wir werden auf die Jagd gehen, Wölfe und Russen schießen«, schreibt Hubert Steinbrecher in einem Feldpostbrief an seine Frau. Briefe, die Jahre später seinem Sohn Werner in die Hände fallen. Werner Steinbrechers künstlerische Auseinandersetzung mit der Geschichte seines Vaters ist seit gestern in der Petri-Kirche zu sehen.
767 Feldpostbriefe seines Vaters hat der Künstler, Jahrgang 1945, Anfang der 80er Jahre erhalten -Êin einer Kiste mit Kriegserinnerungen seiner Eltern, die jahrzehntelang ungeöffnet im Keller lag. »Eine Kiste im Keller - Eine Ausstellung über einen ÝgutenÜ deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg« ist die Ausstellung betitelt. »Das ÝgutÜ soll bewusst irritieren«, erläuterte Pastor Gerard Minnaard, ein Freund des Künstlers, während der Ausstellungseröffnung. Die Ausstellung solle zum Nachdenken anregen was geschehe, wenn ein guter Mensch und ein böser Krieg zusammen kommen.
In 14 Zeichnungen geht Steinbrecher auf die Briefe ein. Entstanden sind die Werke Anfang der 80er Jahre. Steinbrecher blickt in ihnen über den Kistenrand hinaus, verbindet Zitate aus den Briefen seines Vaters mit den Bildern, die er selbst aus jener Zeit kennt. In düsteren Farben: sein Vater, lächelnd im Hintergrund, während im Vordergrund offenbar Zigeuner ihr eigenes Grab schaufeln. »Der Künstler hat die so banal klingenden Bemerkungen des Vaters mit der brutalen Wirklichkeit des Krieges konfrontiert«, brachte es Kunstkreisvorsitzende Ulrike Poetter in ihrer Einführung auf den Punkt. Er habe offenbar nicht begreifen können, wie sich der Vater in seinen Briefen »so auf Privates und Banales zurückziehen konnte -Êin einem Umfeld von Hass, Tod und Gewalt; in einer Welt, die in Flammen stand.«
»Als die Bilder entstanden, war für ihn klar: Sein Vater war damals schuldig«, sagt Gerard Minnaard. Zwei Bilder hat Steinbrecher dagegen erst vor einigen Jahren gemalt, »als wir an der Ausstellung gearbeitet haben. Sie haben eine andere Aussage, nämlich dass er seinen Vater nicht sofort als schuldig bezeichnen würde.«
Welche Rolle Feldpostbriefe im Krieg spielten, erläuterte Stadtarchivar Dr. Richard Sautmann: »Sie helfen nicht, das Geschehene zu rekonstruieren, sind aber wichtig, um das Erleben der Soldaten nachzuvollziehen.« In den Briefen würde nicht über die Lebenswirklichkeit geschrieben -Êauch wegen der Zensur und weil man die Lieben nicht beunruhigen wollte. »Man findet in ihnen oftmals einen ungewöhnlichen Optimismus, wenig Aufwühlendes.« Die Briefe bauten Illusionen auf und machten Mut auf eine Zukunft, »auf die man klaren Verstandes eigentlich nicht hoffen konnte«.
Die Ausstellung ist bis zum 25. November montags bis freitags von 15 bis 17 Uhr zu sehen. Gruppen können sich bei Pfarrer Christian Reiser oder im Gemeindebüro melden. Der Ausstellungskatalog mit Bildern und Ausschnitten aus den Briefen ist in der Kirche erhältlich.

Artikel vom 14.11.2005