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Zuschauer werden zu Geschworenen

Lohnender Theaterabend mit der Kriminalkomödie »Hokuspokus«


Versmold (mh). Zwei völlig gegensätzlich aufgebaute Szenendarstellungen erwarteten die Zuschauer am Freitag bei einer Theateraufführung in der Hauptschulaula. Denn die Krimikomödie »Hokuspokus« von Curt Goetz besteht aus einer Rahmenhandlung und einem Mittelteil, die, so verschieden sie zunächst zu sein scheinen, überraschend logisch miteinander verknüpft sind.
Die sich zunächst aufdrängende Frage »Was soll das?« wird als spannungserzeugendes Mittel in der Inszenierung von Klaus Tews noch weiter verstärkt. Er konzipiert diese Rahmenhandlung als sehr abstraktes Theater: Man sieht nur zwei bunt schillernde Wände im Bühnenbild. Die sechs Figuren, die auftreten, sind mit übermenschlich großen Masken ausgestattet. Die Zuschauer erfahren, dass es sich bei den Personen um einen Theaterdirektor und seine Angestellten handelt. Sie haben ein Problem: Das Theater ist pleite. Ein gutes Stück wird gebraucht. Leider hält der Direktor den Dichter Dr. Dummrian für unfähig. Als letzte Rettung bietet dieser dem Direktor ein neues Stück an, das vom Lieblingsdramatiker des Direktors stammen soll. Und dann fallen die Wände und geben ein geschickt und gar nicht mehr experimentell gestaltetes Bühnenbild frei, auf dem sich dann genau die Handlung dieses neuen Stücks, »Hokuspokus« heißt es, abspielt.
Die Hauptrolle spielt der Gerichtspräsident Severin Gandrup (Roman Kohnle), der die Schuld der Angeklagten Agda Kjerulf (Stefanie Breselow) für hieb- und stichfest erwiesen hält und mit einer baldigen Urteilsverkündung rechnet. Doch dann taucht ein Fremder auf, wie die Angeklagte ebenfalls dänischer Herkunft: Der Kleinkünstler Peer Bille (Mark Weigel) behauptet, selbst den Mord begangen zu haben.
Zunächst glaubt der Zuschauer, es handele sich um einen Justizkrimi. Die beiden mittleren Akte spielen im Gerichtssaal, ein großes Stück der Verhandlung wird ge-zeigt. Dazu gehören auch die beiden großen Reden des Staatsanwaltes Wulkens (Peter Neutzling) und des Verteidigers Van Houten (Peter Liebaug), die sich an die »Geschworenen« im Zuschauersaal richten und wirklich, jede auf ihre Weise, brillant getextet sind. Doch dann nimmt das Stück eine ganz andere Wendung: Außergerichtlich kommt heraus, dass Bille selbst der Ehemann Kjerulfs war. Als erfolgloser Maler habe er beschlossen, seinen Tod vorzutäuschen, um den Verkauf seiner Werke anzukurbeln - was tatsächlich funktionierte.
Im Nachspiel - wieder mit Wänden und Masken - wird die Verbindung klar: Der Dichter Dummrian erklärt, dass das Stück »Hokuspokus« von ihm stammt. Damit es erfolgreich werde, täuscht auch er nun seinen Selbstmord vor.
Ein ungewöhnliches, faszinierendes Stück mit feinem, in stilecht gestalteter Sprache verstecktem Humor. Ein raffiniertes Bühnenbild und eine realistisch umgesetzte, metierstimmige und spannende Inszenierung. Echte Schauspielkunst mit toller Charakterzeichnung. Ein absolut lohnender Abend.

Artikel vom 14.11.2005