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Große Koalition ist perfekt

Rentenbeitrag steigt - Reichensteuer kommt - Rekordschulden

Berlin (dpa/Reuters). Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte wird die Bundesrepublik von einer großen Koalition regiert. Nach vierwöchigen Verhandlungen räumten die Unterhändler von Union und SPD am Freitagabend die letzten Hürden aus und besiegelten den Regierungsvertrag. Kritik wurde an Steuererhöhungen laut.
Die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, der Abschluss der Verhandlungen sei eine »Freude«. Sie betonte, der erreichte Koalitionsvertrag biete gute Chancen, die Wirtschaftskrise zu überwinden und Reformen voranzubringen. Die CDU/CSU-Fraktion habe den Koalitionsvertrag einmütig zugestimmt, sagte Merkel. Noch-SPD-Chef Franz Müntefering zeigte sich überzeugt, dass seine Partei dem Kompromiss am Montag auf dem Parteitag ebenfalls zustimmen werde.
Der Beitragssatz in der Rentenversicherung soll im Jahr 2007 von 19,5 auf 19,9 Prozent steigen. Die Eigenheimzulage entfällt bereits zum 1. Januar 2006.
Die SPD hat sich mit ihrer Forderung nach einer Reichensteuer durchgesetzt. Gutverdiener sollen von 2007 an drei Prozent Sondersteuer ab Einkommen von 250 000 Euro (Ledige) und 500 000 Euro (Verheiratete) zahlen.
Beim Kündigungsschutz zeichnete sich ein Erfolg der Union ab. Die Probezeit bei Neueinstellungen soll von sechs auf 24 Monate verlängert werden. Der Atomausstieg wird nicht angetastet.
In der Nacht zum Freitag hatten sich Union und SPD auf eine höhere Mehrwertsteuer und zugleich auf einen 25 Milliarden Euro umfassenden Zukunftsfonds verständigt, der Impulse für mehr Beschäftigung geben soll. Die Mehrwertsteuer soll am 1. Januar 2007 von 16 auf 19 Prozent steigen. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für die gesamte bisherige Palette - vor allem Lebensmittel und Wohnungsmieten - bleibt erhalten. Die Steuerfreiheit für Nacht-, Sonntags-, und Feiertagsarbeit bleibt für die weitaus meisten Arbeitnehmer unverändert erhalten. Nur bei einem Stundenlohn von mehr als 25 Euro sollen Beiträge zur Sozialversicherung fällig werden.
Bei den von der Union geforderten betrieblichen Bündnissen konnte die Koalitionsrunde keine Einigung erzielen. Das Arbeitslosengeld II wird im Osten auf Westniveau angehoben.
Union und Sozialdemokraten starten offenbar mit einem Schuldenrekord in eine große Koalition. Beide Seiten rechnen für 2006 im Bundeshaushalt mit einer Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro. Mit diesem Minus wird die verfassungsmäßige Grenze zwischen Neuverschuldung und Investitionen um etwa 20 Milliarden Euro überschritten.
Gegen die Sparpolitik der großen Koalition formiert sich bereits eine Protestwelle. Rentner-, Sozial- und Verbraucherverbände kündigten Widerstand gegen die Sparpläne an. Auch aus der Wirtschaft kam Kritik. »Der Aufbruch, die Reform, der Sprung nach vorne, ist nicht erreicht worden«, erklärte BMW-Chef Helmut Panke.

Artikel vom 12.11.2005