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Camille fragte, wer sich mit ihr flambierte Crêpes teilen würde. Philibert zog ein Sorbet vor, und Franck war auf der Hut:
»Moment, zu welcher Sorte Frau gehörst du? Zu der, die behauptet, wir teilen, und sich dann den Bauch vollschlägt und mit den Wimpern klimpert? Zu der, die sagt, wir teilen, und die den Kuchen dann mit langen Zähnen ißt? Oder zu der, die sagt, wir teilen, und die dann wirklich teilt?«
»Bestellen wir, dann wirst du sehen...«

»Mmmm, lecker.«
»Nee, die sind aufgewärmt, zu dick und zu viel Butter. Ich mach dir mal welche, dann siehst du den Unterschied.«
»Wann immer du willst.«
»Wann immer du brav bist.«

Philibert spürte sehr wohl, daß sich der Wind gedreht hatte, aber er konnte nicht recht erkennen, wohin.
Er war nicht der einzige.
Und das war das Amüsante daran.
Da Camille darauf bestand, und was Frau will etc., sprachen sie über Geld: Wer was bezahlte, wann und wie? Wer übernahm den Einkauf? Wieviel Weihnachtsgeld für die Concierge? Welche Namen am Briefkasten? Sollten sie sich einen Telefonanschluß legen lassen, und sollten sie sich von den lästigen Briefen wegen der Rundfunkgebühren beeindrucken lassen? Und der Haushalt? Jeder sein Zimmer, okay, aber warum mußten immer sie oder Philou die Küche und das Badezimmer machen? Apropos Badezimmer, wir brauchen einen Mülleimer, darum kümmere ich mich. Du, Franck, denkst daran, deine Bierflaschen zurückzubringen, und mach in deinem Zimmer ab und zu mal ein Fenster auf, sonst ziehen wir uns noch irgendwelche Viecher zu. Das gleiche gilt fürs Klo. Bitte die Klobrille runterklappen, und wenn kein Klopapier mehr da ist, Bescheid geben. Und dann sollten wir uns vielleicht einen halbwegs ordentlichen Staubsauger leisten. Der Teppichkehrer aus dem Ersten Weltkrieg war ja eine Zeitlang okay... Hm, was noch?
»Da hast duÕs, Philou, verstehst du jetzt, warum ich gesagt habe, laß nie ein Mädchen bei dir einziehen? Verstehst du, was ich gemeint habe? Siehst du, was das gibt? Und wartÕs ab, das ist erst der Anfang...«

Philibert Marquet de La Durbellière lächelte. Nein, er verstand nicht. Er hatte gerade zwei erniedrigende Wochen unter dem gereizten Blick seines Vaters hinter sich, der seinen Abscheu nicht länger zu verbergen vermochte. Ein Erstgeborener, der sich weder für die Pachtwirtschaft noch für die Wälder noch für die Frauen noch für die Finanzen und noch weniger für seinen gesellschaftlichen Rang interessierte. Ein Versager, ein großer Tolpatsch, der für den Staat Ansichtskarten verkaufte und anfing zu stottern, wenn ihn seine kleine Schwester bat, ihr das Salz zu reichen. Einer der zwei Stammhalter und nicht in der Lage, sicher aufzutreten, wenn er mit dem Wildhüter sprach. Nein, das hatte er nicht verdient, knurrte er jeden Morgen, wenn er ihn auf allen vieren in Blanches Zimmer überraschte, wo er mit ihr und ihren Puppen spielte.
»Haben Sie nichts Besseres zu tun, mein Sohn?«
»Nein, Vater, aber ich... ich... sagen Sie mir, wenn Sie mich br... brauchen, ich...«
Doch die Tür war schon ins Schloß gefallen, bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte.
»Sagen wir, du bist zuständig fürs Kochen, und ich übernehme die Einkäufe, und dann machst du uns Waffeln, und anschließend fahren wir die Kinder im Park spazieren.«
»Einverstanden, Mäuschen, einverstanden. Alles, was du willst.«

Blanche oder Camille, für ihn war es das gleiche: Zwei kleine Mädchen, die ihn mochten und ihm ab und zu ein Küßchen gaben. Und dafür war er bereit, die Verachtung seines Vaters hinzunehmen und, wenn nötig, fünfzig Staubsauger zu kaufen.
Kein Problem.

Und da er es war, der Handschriften, Eide, Pergamente, Karten und andere Verträge liebte, stellte er die Kaffeetassen auf den Nachbartisch und holte aus seiner Tasche ein Blatt Papier, auf das er förmlich schrieb: »Charta der Avenue ƒmile-Deschanel, gültig für die Bewohner und andere Besuch...«
Er unterbrach sich:
»Und wer war ƒmile Deschanel, Kinder?«
»Ein Präsident der Republik!«
»Nein, der hieß Paul. ƒmile Deschanel war ein Gelehrter, Professor an der Sorbonne, suspendiert wegen seiner Abhandlung Katholizismus und Sozialismus... Oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr. Übrigens, meiner Großmutter ging der Name dieses Halunken auf ihrer Visitenkarte ein wenig gegen den Strich... Gut,wo war ich?«
Er wiederholte Punkt für Punkt, was sie beschlossen hatten, inklusive Toilettenpapier und Mülltüten, und reichte das Protokoll herum, damit jeder seine eigenen Zusätze vermerken konnte.
»Ein richtiger Jakobiner bin ich geworden«, seufzte er.
Franck und Camille ließen widerwillig ihre Gläser los und schrieben eine Menge Unsinn auf.

Seelenruhig holte er sein Siegelwachs heraus und brachte unter den verdutzten Blicken der beiden anderen seinen Siegelring unten auf dem Wisch an, faltete das Blatt zweimal und steckte es nachlässig in die Jackentasche.
»Eh... Trägst du immer deinen ganzen Adelsplunder spazieren?« fragte Franck schließlich kopfschüttelnd.
»Mein Wachs, mein Siegel, mein Riechsalz, meine Goldtaler, mein Wappen und meine Giftfläschchen. Gewiß, mein Lieber.«

Franck, der einen der Kellner kannte, stattete der Küche einen Besuch ab.
»Ich bleib dabei, eine Futtermittelfabrik. Aber was für eine schöne...«

Camille übernahm die Rechnung, doch, doch, ich bestehe darauf, ihr dürft dafür staubsaugen, sie holten den Koffer und stiegen hier und da über einen Clochard hinweg, Lucky Strike bestieg sein Motorrad, die beiden anderen nahmen ein Taxi.

8. Kapitel
Am nächsten Tag, am übernächsten und an den darauffolgenden Tagen wartete sie vergeblich auf ihn. Keine Nachricht. Vom Wachmann, mit dem sie neuerdings gelegentlich Schwätzchen hielt, erfuhr sie auch nicht mehr. Dabei wußte sie, daß er in der Nähe war. Wenn sie hinter den Kanistern mit Putzmitteln ein gut gefülltes Einkaufsnetz abstellte, mit Brot, Käse, Salat, Fertiggerichten, Bananen und Hundefutter, verschwand es systematisch. Niemals ein Hundehaar, niemals ein Krümel und nicht der geringste Geruch. Für einen Junkie war er ziemlich gut organisiert, fand sie, so sehr, daß sie hinsichtlich des Empfängers ihrer Spenden sogar Zweifel hegte. Am Ende fütterte der andere Schwachkopf heimlich seinen Hund damit. Sie sondierte ein wenig das Terrain, aber nein, Matrix fraß nur Kroketten, die mit Vitamin B12 und einem Eßlöffel Rizinusöl für das Fell angereichert waren. Fertiggerichte waren ungenießbares Zeug. Warum sollte man seinem Hund etwas geben, das man selbst nicht essen würde?
Stimmt, warum eigentlich?
»Aber für die Kroketten gilt das doch auch, oder nicht? Die würdest du doch auch nicht essen.«
»Natürlich eß ich die!«
»Ja, ja.«
»Wirklich!«
Das schlimmste war, sie glaubte ihm. Der Einhodige und der Einhirnige, wie sie in ihrer überheizten Hütte mitten in der Nacht vor einem Porno saßen und Hähnchenkroketten futterten, das paßte. Sehr gut sogar.

So vergingen einige Tage. Manchmal kam er auch nicht. Das Baguette war dann hart, und die Zigaretten lagen noch da. Manchmal kam er vorbei und nahm nur das Hundefutter raus. Zuviel Stoff oder zu wenig, um sich selbst einem Schmaus hinzugeben. Manchmal war sie es, die mit den Lieferungen nicht nachkam. Camille machte sich deswegen keinen Kopf. Ein kurzer Blick in das Putzräumchen, um nachzusehen, ob sie ihre Einkaufstasche leeren mußte, und fertig.

Sie hatte andere Sorgen.

In der Wohnung kein Problem, da lief es gut, Charta hin oder her, Myriam hin oder her, PLEMPLEM hin oder her, jeder lebte seinen täglichen Trott, ohne die anderen zu stören. Morgens grüßte man sich, und abends nach der Rückkehr ging man brav seinen Süchten nach. Shit, Gras, Wein, Inkunabeln, Marie-Antoinette oder Heineken, jedem seinen Trip und Marvin für alle.

Tagsüber malte sie, und wenn er da war, las Philibert ihr vor oder kommentierte die Familienalben:
»Das hier ist mein Urgroßvater. Der junge Mann neben ihm ist sein Bruder, Onkel ƒlie, das vor ihnen sind ihre Foxterrier. Sie organisierten Hunderennen, und der Herr Pfarrer, den du hier an der Ziellinie siehst, bestimmte den Sieger.«
»Sie haben sich wohl nicht gelangweilt?«
»Das war auch gut so. Zwei Jahre später zogen sie an die Ardennenfront, sechs Monate darauf waren beide tot.«

Nein, die Probleme hatte sie bei der Arbeit. Zuerst hatte der Typ aus dem fünften Stock sie eines Abends angequatscht und gefragt, wo ihr Staubwedel sei. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 01.12.2005