12.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Christen sind manchmal einfach zu bescheiden! Das scheint mit der Art der Verkündigung christlicher Kirchen zusammen zu hängen. Offensichtlich bewirkt ein bestimmter Geist, dass sehr häufig größte Zurückhaltung besteht, über gute Taten öffentlich zu reden.
»Das war doch selbstverständlich.« »Das ist doch nicht der Rede wert.« »Sagen Sie aber bitte niemandem etwas davon.« »Bitte erwähnen Sie meinen Namen nicht.« Solche und ähnliche Antworten bekommt man in einem kirchlichen Umfeld sehr häufig zu hören. Die Leute wollen einfach nicht, dass sie mit Namen genannt werden. Sie finden es peinlich, wenn über eine gute Sache unter einem bestimmten Namen berichtet würde. Sie wollen sich ja nicht hervorheben, es soll sich niemand auf den Schlips getreten fühlen.
Ein Mann aus der Medien- und Werbebranche sagte mir vor einiger Zeit, dass die Kirchen und Gemeinden sich geradezu selbstschädigend zurückhaltend mit ihren oft beeindruckenden Leistungen gebärden. Dadurch würden sie sich selbst um die Ausstrahlungskraft bringen. Manch einer würde vielleicht auch auf Gott hin nachdenklich, wenn er etwas mehr vom differenzierten Leben und insbesondere von den beeindruckenden sozialen Werken der christlichen Gemeinschaften erführe.
Gestern war der Tag des Heiligen Martin. Und es war der Tag der Laternen. Diesen Laternen-brauch aber gibt es nur, weil Jesus sehr wahrscheinlich zu dem oben genannten Thema ganz anderer Meinung war, als die meisten augenblicklichen Christen.
Den Brauch der Laternenumzüge gibt es nämlich nur, weil über viele Jahrhunderte am Tag des Heiligen Marten in den Kirchen immer und immer wieder ein und dasselbe Evangelium verlesen wurde: »Ihr seid das Licht der Welt. . .  So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.« (Mt 5,15f)
Die soziale Tat des Taufbewerbers Martin von Tours und seine spätere religiöse Lebensweise wurden einfach als modellhaft betrachtet - eben als ein Licht, das vor den Menschen leuchten muss und in die Öffentlichkeit gerückt gehört. Die Kinder und alle anderen sollten solche guten Taten sehen. Deshalb begann man Laternen nach dem Verlesen dieses Evangeliums zu entzünden und mit ihnen durch die Straßen zu gehen.
Aber gelobt wurde nicht einfach Martin - das wäre eben für Christen schon immer zu kurzsichtig gewesen. Gelobt wurde: Gott - für sein Wirken in diesem Menschen Martin von Tour. Denn wen könnte man besser als Modell für diese überraschende Kombination in dem Satz aus dem Mund Jesus nehmen, als eben Martin: »Eure guten Taten sehen - aber Gott preisen.« Denn natürlich teilte Martin am Stadttor von Amiens seinen Soldatenmantel mit einem frierenden Bettler. Aber das war doch gar nicht das Entscheidende. Sondern in der Nacht darauf erschien ihm Christus - mit dem abgeschnittenen Mantelstück bekleidet. Martin verstand: In der Gestalt dieses Armen war er Jesus Christus begegnet. Es war das geschehen, was Jesus im Evangelium gesagt hatte: »Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«.
Wenn also schon Martin jemanden gepriesen hätte, dann sicher nicht sich selbst mit Eigenlob, sondern »den Vater im Himmel«, der ihm diese Erfahrung geschenkt hatte. Sein darauf folgen-des Leben war ein einziges âPreisen des Vaters im HimmelĂ•. Denn er ließ sich taufen und gründete 361 das erste Kloster Galliens. Die Gläubigen schätzten Martin sehr und wählten ihn 371 gegen seinen Willen zum Bischof von Tours. Unermüdlich widmete er sich der Glaubenspredigt in den noch weithin heidnischen Gebieten. Überall aus Europa kamen Gläubige, um den wegen seiner Gebetskraft bekannten Mann darum zu bitten, ihre Anliegen vor Gott zu tragen. Er starb im Jahr 397 und wurde am 11. November in Tours begraben. Dass wir uns heute noch erinnern zeigt, dass Jesus recht hatte: Gute Werke muss man sehen dürfen, aber die hintergründige Ehre gebührt ohnehin Gott.

Artikel vom 12.11.2005