15.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein Paradies für Wanderer

Atemberaubendes Madeira lockt Aktivurlauber aus ganz Europa an

Von Thomas Albertsen
Im Nachhinein scheint es schier unbegreiflich, was die Menschen einst dazu bewogen hat, auf Madeira zu siedeln. Dichter Wald und schroffe Felsen - praktisch unzugänglich präsentierte sich die Insel den Seefahrern. Viel Regen fällt auf die Insel -Êdummerweise aber nicht dort, wo Landwirtschaft möglich ist.

So gibt es neben atemberaubenden Serpentinen und neuerdings einer Vielzahl von EU-subventionierten Straßentunneln noch immer das 1400 Kilometer umfassende Netz von Levadas. Diese Kanäle transportieren das kostbare Nass an steilen Berghängen entlang mit minimalem Gefälle auf die Felder. An ihrer Seite befinden sich oft schmale Pfade, die heute Madeiras wichtigstes touristisches Kapital darstellen - die Wanderwege locken Aktivurlauber aus ganz Europa an.
Stundenlang kann man durch die Berge spazieren, ohne nennenswerte Höhenunterschiede zu bewältigen. Schwindelfrei sollte man allerdings schon sein, denn immer wieder gähnen am Rand der Wege steile Abgründe in dicht bewaldete Schluchten oder direkt in den rauen Atlantik, dessen Wellen sich in riesigen Gischtfontänen an den Felsen brechen.
Allerdings muss man immer mal wieder damit rechnen, dass unterwegs an den schönsten Aussichtspunkten dubiose Indio-Kapellen stehen und auf der Panflöte Hits aus Schweden, Kirchenmusik aus Deutschland oder Filmmelodien aus Italien intonieren. Wobei die ganz Dreisten nur zum Vollplayback simulieren und sich bei mangelndem Interesse bei einer Tasse Kaffee vom eigenen Gedudel berieseln lassen.
Bei einer Inselrundfahrt sollte man bedenken, dass trotz ehrgezeiger Straßenbauprojekte nur ein Durchschnittstempo von weniger als 30 Stundenkilometern zu schaffen ist. Sehenswert sind das Ostkap der Insel hinter Caniçal, die Korbmacherwerkstatt von Camacha, die mit Stroh gedeckten Spitzdachhäuser von Santana und die natürlichen Meerwasserschwimmbecken von Porto Moniz.
Wer eine Gipfeltour ins Hochgebirge plant, sollte sich vorher telefonisch unter der Rufnummer 2 91 23 01 10 erkundigen, wie die Wetterbedingungen sind. Häufig hüllen sich die knapp 1900 Meter hohen Gipfel nämlich in Wolken.
Wie menschliche Unbedachtsamkeit die Vegetation beeinflusst, lässt sich am Beispiel des importierten Eukalyptus studieren. Er verdrängt die einheimischen Pflanzen und muss deshalb energisch dezimiert werden. Die Douglastanne hingegen muss besonders von November an geschützt werden. Förster kontrollieren als »Weihnachtsbaumpolizei« in dieser Zeit alle Autos, um Dieben auf die Spur zu kommen.
Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Inselhauptstadt Funchal von einer gemütlichen Hafenstadt zur quirligen Metropole gewandelt. Auf den wenigen breiten Straßen quält sich stockender Verkehr durch das Zentrum. Alternativen gibt es nicht, denn Funchal liegt am Steilhang. Aus den Wohnvierteln genießt man tolle Ausblicke, die engen Straßen bringen Ortsunkundige allerdings zur Verzweiflung.
Da lohnt es sich sogar, aus der Hotelzone den 30- bis 45-minütigen Fußmarsch ins Stadtzentrum in Kauf zu nehmen. Hinter der Hotellegende »Reid's«, wo man wie vor 100 Jahren stilvoll den Fünf-Uhr-Tee auf der Terrasse genießt und durch den prächtigen Garten lustwandelt, haben sich zahlreiche Domizile etabliert. Von der gemütlichen Quinta bis zum unterkühlten »Crowne Plaza«-Designerhotel gruppiert sich alles um ein neues Einkaufszentrum und den Beginn der Strandpromenade, auf der man Richtung Camara de Lobos spazieren kann.
Funchal setzt voll auf Tourismus! Der Industriehafen wird Zug um Zug nach Caniçal verlagert, denn die Kaianlagen werden für Kreuzfahrer benötigt. Drei Schiffe am Tag sind keine Seltenheit, Silvester liegen bis zu zehn Schiffe in der Bucht, um ihren Passagieren den Blick auf das prächtige Feuerwerk zu ermöglichen.
Eine Seilbahn führt mittlerweile nach Monte hinauf, wo der 2004 selig gesprochene Kaiser Karl von Österreich ruht. Abwärts geht es mit Korbschlitten -Êeine mehr als rasante Fahrt, doch die in weiß gekleideten Schieber verstehen ihr Handwerk. Zwei Personen zahlen allerdings für die Auffahrt, das Schlitteln und Erinnerungsfotos 70 Euro, und dann muss man auch noch per Taxi ins Zentrum fahren, denn die Schlittenfahrt endet auf halbem Weg in die Stadt.

Artikel vom 15.11.2005