11.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»68 Millioen Euro Entwicklungshilfe für ein Land, das boomt und über Leichen geht, sind ein Hohn.«

Leitartikel
Besuch aus China

Reden wir über Büro 610, Herr Hu!


Von Reinhard Brockmann
Seit gestern besucht Chinas Staats- und Parteichef Hu Jiantao die Bundesrepublik. Der seit langem feststehende Termin ist für ihn äußerst glücklich. Denn: Noch gilt die von Gerhard Schröder geübte Zurückhaltung vor dem Repräsentanten eines Regimes, das über Leichen geht.
Offen bleibt, ob die neue Bundesregierung kritischer mit Pekings Führung umgeht. Immerhin hat die Union bislang den gepriesenen »Rechtsstaatsdialog« sehr distanziert verfolgt. Außerdem steigt auch in der SPD das Unbehagen. Zum Bundesparteitag liegt eine Reihe äußerst china-kritischer Anträge vor. Viele Genossen pochen auf Einhaltung des Waffenembargos der EU gegenüber der Volksrepublik.
Kein Wunder: Immer wieder werden dort Menschen willkürlich verhaftet und ohne rechtsstaatliches Verfahren in Umerziehungs- und Zwangsarbeitslager gesteckt. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte hat Schröder wie Merkel jetzt aufgefordert, die Auflösung des »Büro 610« zu verlangen.
Diese Einrichtung der Kommunistischen Partei, in deren Namen bis heute Jahr um Jahr gemordet wird, ist für die systematische, landesweite Planung und Ausführung von Menschenrechtsverletzungen - vor allem an Falun Gong Praktizierenden und Christen - verantwortlich.
Folter und die Vollstreckung von Todesurteilen gehören in China zum Alltag. Das müssen auch Manager großer Unternehmen wissen, die sich allenfalls darüber aufregen, dass China den weltweit gültigen Patentschutz mit Füßen tritt. Fast jeder hoffnungsfrohe Produzent aus dem Westen kann inzwischen nämlich sein ganz eigenes Lied in Sachen Produktpiraterie singen.
Gerade weil Hu Jiantao derzeit Gast in unserem Lande ist, muss über das gesprochen werden, was zu gern übergangen wird. Denn vieles bliebe sonst auf der Strecke, weil die staatliche Zensur bis in die Berichte westlicher Medien reicht.
Um ihre offizielle Genehmigung zur Berichterstattung nicht zu verlieren, müssen Reporter stets auf der Hut sein, die Schere im eigenen Kopf ansetzen und vor allem den TV-Zuschauern verschweigen, dass sie aus diesen Gründen nicht alles sagen und zeigen können.
China übt auch Druck auf den europäischen Satellitenbetreiber Eutelsat aus. Es wird verlangt, dem unabhängigen Sender NTDTV Sendefrequenzen vorzuenthalten. Chinas Big-brother-mäßige Ausspähung des Internets, effizienter als viele annehmen, trotzt gleichfalls den offenbar doch beeinflussbaren Gesetzen der Globalisierung.
Deutschland hat der Volksrepublik China übrigens soeben erst 68 Millionen Euro Entwicklungshilfe zugesagt. Gefördert werden sollen Umwelt- und Ressourcenschutz, Gesundheit, Wirtschaft und Recht. Ein Hohn! Das wirtschaftlich boomende Land ist ein Militärstaat auf der Suche nach Absatzmärkten für preisgünstige Produkte, von denen angenommen werden muss, dass sie von Zwangsarbeitern erstellt wurden.

Artikel vom 11.11.2005