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Casanova - Typ zwischen
Esprit und Miststück

Lesung des Schriftstellers und Kabarettisten Christof Stählin

Halle (el). Auf der Grenze zwischen Theater, Lesung und Kabarett präsentierte Christof Stählin im Rahmen der Haller Buchlese am Mittwoch im Bürgerzentrum Remise »Giacomo Casanova«. Das Programm des renommierten Schriftstellers und Kabarettisten mischte Originalzitate mit eigener Reflexion, vor allem aber auch mit der Verkörperung des Rokkoko-Unikats - oder -Unikums?

Durch und durch fasziniert sei er von Giacomo Casanova gewesen, sagte Christof Stählin, den zufällige Lesefunde auf die Spur des äußerst geistreichen Veneziers brachten, der so oft nur als Frauenheld gesehen wird. Giacomo Casanova aber war viel mehr, wollte der Hechinger Kabarettist beweisen. So ergründete er - im Selbstversuch, wie es schien - das Wesen dieses Mannes, der zwischen Esprit und Miststück schwebte, Geist und Dreistigkeit zu einer einmaligen Mischung verschmolz.
Gleichzeitig wurde auch das Wesen des ganzen Zeitalters deutlich: So sprach Christof Stählin leichthin über die Philosophie des Genusses und nippte dabei am Sherryglas, erklärte die Erotik als umfassende Lebensauffassung und flirtete aus dem vergoldeten Fauteuil mit dem an einer Hand zählbaren Publikum. A capella Couplets und selbstkomponierte Stücke für die Vihuela, jener Frühform zwischen Gitarre und Laute, die bis ins 16. Jahrhundert Mode war, rundeten das Bild einer durchweg galanten Zeit ab.
Im Mittelpunkt: ein typischer »Latin Lover«, der das Priestergewand eines Tages mit einer selbstgeschneiderten Uniform vertauschte und danach zum Lebe-, Welt- und Hofmann wurde. Den Witz aus Casanovas umfangreichen Memoiren transportierte Christof Stählin dabei ebenfalls in die heutige Welt, führte in den eigenen Gedanken die schillernden Wortfechtereien weiter. So erklärte er: »Casanova war ein Mann mit blendenden Manieren, er benahm sich nie daneben, sondern immer mittenrein.«
Gleichzeitig habe er einen Sinn für dialektische Rhethorik gehabt, meinte Stählin: »Das Gegenteil der lässlichen Sünde ist die Todsünde, doch nicht für Casanova. Er verstand das Gegenteil der lässlichen Sünde, viel genauer als unerlässliche Sünde.« Denn ohne sündige Erotik kam dieser Abend natürlich nicht aus, genauso wenig ohne die Schattenseiten im Leben des Giacomo Casanova, der seine letzten 13 Jahre in Armut verbrachte. Allerdings versteckten sie sich - typisch Rokkoko - hinter vielen Schleifchen und Verzierungen, sowie hinter der wie hingetupften Zufälligkeit der Einzelszenen.

Artikel vom 11.11.2005