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Doppel-Konflikt ist Gift für hoffnungsvolle Projekte

Aufruhr in Äthiopien und Kriegsgefahr - OWL-Reisende verschont

Von Reinhard Brockmann
Paderborn/Bonn (WB). Entwarnung gestern um 8.59 Uhr per E-Mail: »Hallo Hans Karl, liebe Gruesse aus Aethiopien. Die Lage ist sehr ruhig und das Leben kommt wieder in Gang. Wir ueberlegen, ob wir nicht schon am Freitag nach Hause kommen...«

Professor Hans Karl Barth konnte aufatmen. Trotz innerer Unruhen und urplötzlich neuer Kriegsgefahr an der nahen Grenze zu Eritrea waren »seine Leute« um Reiseleiter Henning Schwarze aus Schlangen unversehrt. Elf Männer und Frauen aus dem Raum Paderborn sind derzeit als - im wahrsten Sinne des Wortes - touristische Pfadfinder in Ostafrika, wo der Blaue Nil entsteht, unterwegs.
In Bahar Dar, der dortigen Provinzhauptstadt war am Wochenende ein Greenline-Reisebus mit 20 Touristen attackiert worden. Die Polizei vertrieb die zündelnden und bewaffneten Angreifer mit Warnschüssen. Die Paderborner Gruppe dagegen musste zu keinem Zeitpunkt in Gewehrläufe schauen. Sie war vorsichtshalber im Hotel geblieben.
Bis zu 50 Tote hat es nach Schätzungen im Lande gegeben. Der Konflikt verläuft auf zwei Ebenen: Die Opposition wirft der Regierung die Fälschung von Wahlergebnissen vor. Gleichzeitig bahnt sich ein neuer Grenzkonflikt an, weil der Friedensvertrag mit Eritrea aus dem Jahr 2000 zu Streitigkeiten führt. Ministerpräsident Meles Zenawi erklärte am Wochenende als Gast der Afrika-Konferenz in Bonn, seinem Land werde der vertraglich fest zugesicherte Zugang zum Roten Meer verstellt.
Zenawi sagte dem WESTFALEN-BLATT, eine unabhängige Kommission solle die Unruhen in Äthiopiens Hauptstadt, aber auch in Bahar Dar untersuchen. Er verwies darauf, dass in Addis Abeba aus den Reihen der Demonstranten zwei Handgranaten geworfen worden seien. Macheten und Waffen bis zum Granatwerfer seien »gesehen« worden: Zenawi: »Das war keine Demonstration«.
In Deutschland lebende Äthiopier, die am Tagungsort in Bonn-Königswinter demonstrierten, verwiesen dagegen darauf, dass alle Oppositionsführer, eine Reihe von Journalisten und auch Unbeteiligte inhaftiert worden seien. Überall dort, wo internationale Beobachter bei der Wahl im Mai präsent gewesen sei, habe die Opposition die Mehrheit geholt. Die Regierung behaupte nunmehr, sie habe eben auf dem Lande gewonnen.
Laut UN-Bericht, ist die Wahl, soweit beobachtet, korrekt verlaufen. Das unterstrich auch Zenawi und räumte ein, dass seine Polizei im Umgang mit Massenprotesten nicht geschult sei.
Inzwischen haben die Europäische Union (EU), die USA und die Afrikanische Union die Regierung in Addis Abeba zur Zurückhaltung aufgefordert. Die festgenommenen Anführer der oppositionellen Koalition für Einheit und Demokratie (CUD) werden nach Regierungsangaben vor Gericht gestellt. 25 Vertreter der CUD würden der Verwicklung in die Gewalt verdächtigt.
Beobachter sehen angesichts des innenpolitischen Drucks auf die Regierung in Addis Abeba die Gefahr, dass die Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea wieder zu einem Krieg führen könnten. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte wegen der Unruhen »von nicht notwendigen Reisen« in das Land abgeraten. UN-Friedenstruppen hatten zuvor von starken Militärbewegungen auf beiden Seiten der Grenze berichtet.
Die neu aufgebrochenen innen- und außenpolitischen Spannungen sind Gift für den Tourismus. Sie belasten auch das Anliegen der heimischen Reisegruppe. Die in Schlangen (Kreis Lippe) ansässige »World Habitat Society« wollte mit der Reise ein satellitengestütztes digitales Handbuch für westliche Entdeckungsreisende überprüfen. Das geologisch und historisch hochinteressante Bergland am afrikanischen Grabenbruch mit christlichen Klöstern zurück bis ins zweite Jahrhundert und reichem Kulturerbe ist touristisch noch vollkommen unerschlossen.
Professor Barth (67), der in Paderborn-Dahl gebliebene Kopf des Netzwerkes aus Wissenschaftlern und Touristikern, hat das Entwicklungskonzept für die bitterarme Region entwickelt. In vier Jahrzehnten wissenschaftlicher Praxis und zahlreichen Reisen durch Ostafrika habe er die notwendigen Kontakte geknüpft, sagte Barth gestern dieser Zeitung.
Zunächst sei er in großer Sorge um seine Gruppe gewesen, inzwischen könne die Überprüfung der GPS-Daten fortgeführt werden.www.world-habitat-society.org

Artikel vom 09.11.2005