09.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Ende der Ära Gerling naht

Unruhe in Versicherungsbranche: Zukunft der Beschäftigten ungewiss

Von Christine Schultze
Köln/Hannover (dpa). Vor der geplanten Übernahme von Gerling durch Deutschlands drittgrößten Versicherungskonzern Talanx ist die Zukunft der 6800 Gerling-Beschäftigten ungewiss.

Die deutsche Versicherungsbranche ist wieder kräftig in Bewegung gekommen. Mit der geplanten Übernahme der operativen Versicherungsgesellschaften von Gerling, die das Ende des Kölner Traditionskonzerns bedeuten würde, bringt sich Talanx, Deutschlands Nummer drei in der Industrieversicherung, gegen Marktführer Allianz in Stellung.
Der Allianz-Konzern hatte erst kürzlich mit der Ankündigung seines tief greifenden Umbaus und der Umwandlung in eine europäische Gesellschaft für Aufsehen gesorgt. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass es auch im Geschäft mit Lebensversicherungen in den kommenden Jahren zu einer zunehmenden Konzentration kommt. »Manche Versicherer können dabei als Marke verschwinden«, erwartet Versicherungsexperte Lucio di Geronimo von der HypoVereinsbank, auch Zukäufe seien möglich.
Mit einem Prämienvolumen von zehn Milliarden Euro werde Talanx künftig mit der Allianz in der Industrieversicherung auf Augenhöhe spielen. Lange Jahre galt das Segment wegen hoher Verluste als unattraktiv. Die roten Zahlen der Sparte hatten auch maßgeblich zur Existenz-Krise von Gerling vor drei Jahren beigetragen. Eine Reihe von Anbietern hatte deshalb die Industrie-Aktivitäten eingestellt. Talanx (HDI, Hannover Rück) will bei Gerling nun im zweiten Anlauf zum Zuge kommen und so sein Kerngeschäft stärken. 2003 war ein erster Übernahmeversuch gescheitert.
Der Schritt könnte nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Kunden zugute kommen, sagt Carsten Zielke von der WestLB. Mit Gerling habe Talanx künftig die Kraft für eine vernünftige Preispolitik. Den Kunden biete ein stärkerer Anbieter auch zusätzliche Finanzkraft. Denn bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit wird der Versicherungsschutz von Unternehmen künftig stärker ins Blickfeld rücken.
In der Schaden- und Unfallversicherung macht Talanx mit der Gerling-Übernahme gegenüber der Allianz ebenfalls Boden gut, auch wenn der Branchenprimus noch einen kräftigen Vorsprung habe, sagt di Geronimo. Zur Lebensversicherungssparte erklärte er: »Gerling Leben ist allerdings keiner der dominanten Player, in diesem Bereich ist das sicher nicht der große Wurf für Talanx.«
Sollte die Gruppe auch dieses Standbein stärken wollen, könnte es Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit unter seine Fittiche nehmen und so zur Neuordnung in dem mit etwa 100 Anbietern zersplitterten Lebensversicherungs-Markt beitragen, sagt Zielke.
Bei den Beschäftigten sorgt die geplante Übernahme unterdessen für Besorgnis. Nachdem sich die Gewerkschaft ver.di schon wegen des Allianz-Umbaus, der eine Bündelung des Deutschlandsgeschäfts und die Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft vorsieht, beunruhigt zeigt, werden nun auch durch dieses Geschäft Einschnitte befürchtet. Eine mögliche Zusammenlegung von Geschäftsstellen und Synergieeffekte in der Verwaltung könnten einige hundert Arbeitsplätze kosten, schätzt Rolf Finger, der für ver.di im Gerling-Aufsichtsrat sitzt.

Artikel vom 09.11.2005