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Baptisten boykottieren Sexualkundeunterricht

Hausfriedensbruch: Strafbefehle gegen sechs Mütter

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). Sie tragen Chiffontücher über dem Haar und sind gottesfürchtig. Sexualerziehung ist für streng gläubige Baptisten dagegen »ein Teufelswerk«. Um ihre Söhne und Töchter vor dem Verderben zu schützen, inszenierten sechs Mütter in der katholischen Liborius-Grundschule Salzkotten einen Unterrichtsboykott. Wegen Hausfriedensbruchs erhielten sie gestern Strafbefehle des Amtsgerichts Paderborn.
Die Liborius-Grundschule Salzkotten: Hier werden gut 550 Schüler in 22 Klassen unterrichtet.

Keine der Mütter hat weniger als sechs, eine hat schon 13 Kindern das Leben geschenkt. »Wir erziehen unsere Kinder in Liebe und schützen sie vor solchen Dingen, denn wir haben uns vor Gott zu verantworten«, sagt Lydia F. (39) in der Gerichtsverhandlung.
Sie und die anderen erregen sich vor allem über das mit dem deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnete Sachkundebuch »Peter, Ida und Minimum«, in dem - mit Zeichnungen illustriert - Zeugung, Schwangerschaft und Geburt dargestellt werden. »Ich halte es persönlich für sehr gut«, bekundet Liane Klinge (26), Klassenlehrerin der 4d. Nach Ansicht der baptistischen Mütter aber können ihre neun- bis zehnjährigen Kinder »so etwas psychisch nicht verkraften«. »Von klein auf werden unsere Kinder zur Reinheit erzogen und dass sie Schamgefühl haben. Wir haben auch keinen Fernseher.«
Die Jungen und Mädchen seien völlig schockiert und voller Ekelgefühl aus der Schule nach Hause gekommen. Die Lehrerin bestätigt, die sieben Baptistenkinder in der 23-köpfigen Klasse hätten sich Augen und Ohren zugehalten. »Ich sah mich als Mutter verpflichtet, meinen Sohn zu schützen und ihn aus dem Unterricht zu befreien«, betont Anna D.
Als Schulleiterin Thekla Tuschen (51) die Freistellung vom Unterricht ablehnte - »das darf ich nicht, dazu gibt es einen Erlass« -, blieben die Mütter mit ihren Kindern während der Schulstunde auf dem Flur, bis das Böse vorüber war. »Wir waren ganz leise und haben gebetet«, schildert Anna S. (45) die Situation. Eine Woche, bis zum Abschluss der schulischen Sexualerziehung, behielten sie danach ihre Kinder zu Hause. Der Aufforderung der Schulleiterin, das Gebäude zu verlassen, waren sie zunächst allerdings nicht gefolgt.
Das Gericht verhängte deshalb Strafbefehle über jeweils 250 Euro (25 Tagessätze). Richter Michael Vondey erkannte zwar die Konfliktsituation, in der sich die Mütter befunden hätten, strafmildernd an, meinte aber auch: »Eltern dürfen den Schulbetrieb nicht stören«. Sie müssten sich vielmehr rechtsstaatlicher Mittel bedienen.
Sieben Baptisten-Familien im Kreis Paderborn schicken insgesamt 19 Kinder überhaupt nicht zum Unterricht. Sie gelten als Schulverweigerer.

Artikel vom 10.11.2005