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Beständiger Wachstumskurs
in den nächsten 25 Jahren

Wohnfläche pro Kopf nimmt alljährlich um bis zu 0,8 Quadratmeter zu

Ob mit oder ohne Eigenheimzulage: Die Wohnfläche pro Kopf wird in Westdeutschland von heute 46 Quadratmeter um gut 20 Prozent auf 56 Quadratmeter im Jahr 2030 wachsen. In den neuen Bundesländern ist die Steigerungsrate sogar doppelt so hoch, der bisherige Rückstand reduziert sich im gleichen Zeitraum von acht auf nur noch einen Quadratmeter. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse des Berliner Forschungsinstituts empirica im Auftrag der Landes-bausparkassen (LBS).

Hauptfaktoren für diese Entwicklung sind aus Sicht der Experten der Trend zu kleineren Haushalten, mehr ältere Haushalte - die in der Regel nicht mehr in kleinere Wohnungen umziehen - sowie ein steigender Wohlstand. Denn dieser führe zu wachsenden Wohnansprüchen - und dies immer öfter in eigene vier Wänden.
Nach Auskunft von LBS Research zeigt auch ein Blick über die Grenzen Deutschlands, dass die weitere Aufwärtsentwicklung der Wohnflächennachfrage hierzulande völlig plausibel ist. So lag die Pro-Kopf-Wohnfläche in Dänemark und Luxemburg bereits im Jahre 2003 bei gut 50 Quadratmetern, in den Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 2001 sogar bei 62 Quadratmetern. Insgesamt nimmt nach der Analyse die Wohnflächennachfrage im Zeitraum von 2005 bis 2030 um 19 Prozent auf 4,4 Milliarden Quadratmeter in ganz Deutschland zu. »Das bedeutet noch für viele Jahre einen Neubaubedarf von mindestens 330 000 Wohneinheiten pro Jahr«, betonen die Berliner Forscher in ihrem Fazit.
Dabei ist empirica in den demografischen Annahmen sogar ausgesprochen zurückhaltend gewesen. Die vom Institut verwendete Variante IV der 10. koordinierten Bevölkerungsprognose, die in ihren Modellannahmen eine Nettozuwanderung von nur 100 000 Menschen pro Jahr unterstellt, gilt allgemein als Untergrenze der wahrscheinlichen Entwicklung. Üblicherweise geht das Statistische Bundesamt von der Variante V mit einer Nettozuwanderung von rund 200 000 Personen aus. Danach liegt der Bevölkerungsstand in Deutschland 2030 bei 81,2 Millionen. Die neueste Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die aktuelle Informationen zur steigenden Lebenserwartung der Menschen einbezieht, sieht nach Auskunft von LBS Research für 2030 mit 83,6 Millionen Einwohnern sogar eine höhere Bevölkerungszahl als heute voraus.
Das Berliner Forschungsinstitut legt seiner Prognose die aktuelle Auswertung der Einkommen- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Jahres 2003 zu Grunde. Danach ist im früheren Bundesgebiet allein in den vergangenen zehn Jahren die Wohnfläche pro Kopf um zehn Prozent angestiegen (von 40 auf 44 Quadratmeter). In den neuen Ländern und Berlin hat dagegen die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf um den doppelten Wert zugenommen, nämlich um acht Quadratmeter innerhalb von nur zehn Jahren; das ist ein relativer Anstieg um 28 Prozent.
Nur auf den ersten Blick überrascht, dass das Wachstum pro Kopf bei den Mieterhaushalten besonders stark ausgeprägt war. Der Grund leuchtet ein: Typischerweise haben in Ostdeutschland kinderreiche Haushalte verstärkt Wohneigentum erworben, die kleineren kinderlosen und älteren Haushalte sind dagegen meist in den Mietwohnungen geblieben. Pro Person haben sie damit im Schnitt jetzt mehr Fläche zur Verfügung.
Dass die künftige Wohnflächennachfrage in zunehmendem Maße von steigenden Einkommen der Bevölkerung abhängt, wird vor allem an der Prognose für Ostdeutschland deutlich. Hier werden nach der Einschätzung von empirica von 2015 an zwar allmählich weniger Haushalte leben; trotzdem wächst die insgesamt bewohnte Fläche weiter an, weil die größeren Wohnflächenansprüche diesen Effekt mehr als ausgleichen. Ursache ist die weiter zunehmende Ost-West-Angleichung bei der Wohnungsversorgung, nicht zuletzt auch durch Fortschritte bei der Wohneigentumsbildung.
Der bereits angesprochene Neubaubedarf lässt sich laut empirica nicht ausschließlich aus der Prognose der zusätzlichen Wohnflächennachfrage ableiten. Denn zusätzlich zur steigenden Wohnflächennachfrage sei zu berücksichtigen, dass das Wohnflächenangebot durch Abriss oder Umnutzung vermindert und die Größenstruktur von Bestandswohnungen durch Zusammenlegungen verändert werde. Bei einem Ersatzbedarf von nur 0,3 Prozent des Bestandes, so folgert das Institut, ergäbe sich in den kommenden Jahren bis 2010 bereits ein Neubaubedarf von 330 000 Einheiten. Die Baugenehmigungen des laufenden Jahres bleiben dahinter um annähernd 100 000 Wohnungen zurück.
Dies sei umso besorgniserregender, als die genannte Bedarfszahl laut empirica schon die absolute Untergrenze sei. Denn da der Zusatzbedarf an Wohnfläche regional sehr unterschiedlich sei und auf immer mehr regionalen Märkten Wohnungsüberschüsse aufträten, komme noch zusätzlich ein struktureller Neubaubedarf an den Standorten mit Wohnungsknappheiten hinzu. Deswegen, so die Forscher, werde der Neubaubedarf am Ende sogar deutlich über den genannten Werten für den Zusatz- und konventionellen Ersatzbedarf liegen. Auch für die Jahre nach 2015 (im Osten) und nach 2020/2025 (im Westen), wenn die Haushaltszahlen ihren Höhepunkt überschritten haben und daher scheinbar mengenmäßig kein Zusatzbedarf mehr bestehe, sei folglich keineswegs ein Ende des Wohnungsneubaus in Sicht.

Artikel vom 11.11.2005