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»Von mir gibt es kein Pardon«

Nach der Explosion von Höxter: Ein Schulfreund des Täters erinnert sich

Von Frank Spiegel
Höxter (WB). Sieben Wochen nach der absichtlich herbeigeführten Explosionskatastrophe von Höxter (drei Tote, 42 Verletzte) hat sich ein Freund des Täters Günther Hartmann gemeldet. Er weilte im Ausland, als die Explosion Höxters Altstadt erschütterte, und hat erst jetzt von dem Verbrechen erfahren.
Rentner Günther Hartmann (l.) starb bei der Explosion, Wolfhart Schneider war sein Jugendfreund.

Als er sich über die Weserbrücke der Höxteraner Altstadt näherte, wundert sich Wolfhart Schneider (65) über das eingerüstete Rathaus, vernagelte Fenster und verlassene Häuser. Der pensionierte Lehrer, der heute in Bayern lebt, kehrt einmal im Jahr in seine Heimat zurück, um einen alten Schulfreund zu besuchen: Günther Hartmann. Als er zu dessen Haus »Am Markt 11« gehen will, gibt es dieses nicht mehr. Er fragt einen Passanten und erfährt die grausame Wahrheit: Sein Schulfreund hat sich und sein Haus in die Luft gejagt und zwei unschuldige Passanten mit in den Tod gerissen, viele Menschen verletzt und Sachschaden in Millionenhöhe angerichtet.
»Ich hätte es ahnen können, als wir uns im vorigen Herbst trafen und ich seine wilde Entschlossenheit sah, den Kampf um das Erbe bis zum bitteren Ende fortzusetzen«, sagt der pensionierte Pädagoge: »Bei einem Jugendlichen hätten bei mir die Alarmglocken geschrillt, und ich hätte jemanden auf ihn aufmerksam gemacht.«
Günther Hartmann habe ihm im September 2004 berichtet, wie ungerecht er sich von seinem in Hessen lebenden Bruder behandelt fühlte. Die drohenden Konsequenzen einer juristischen Auseinandersetzung um das elterliche Haus hätten das Gerechtigkeitsbewusstsein und das selbstgezimmerte Weltbild Günther Hartmanns erschüttert: »Hier setzte es bei ihm aus, hier entwickelte er sich zu einem Michael Kohlhaas und schließlich zu einem Anarchisten hinter der Maske eines Biedermanns. Ich sagte: Günther, du bist verrückt! Mach Schluss mit diesem Wahnsinnsprozess, das nimmt kein Ende und stürzt dich ins Unglück!«, erinnert sich Wolfhart Schneider. Günther Hartmann habe nur mitleidlos-rachsüchtig lächelnd entgegnet: »Von mir gibt es kein Pardon!«
Wolfhart Schneider hat in seiner Kindheit und Jugend in der Weserstraße 14 in der direkten Nachbarschaft von Günther Hartmann gewohnt. »Ich war ein sehr schlechter Schüler, und er war sehr gut. Er hat mir immer geholfen. Er und seine Familie waren für mich ein zweites Zuhause. Er war ein guter Kamerad«, blickt Schneider zurück. Man habe auch viele gemeinsame Vorlieben gehabt: »Er war ein passionierter Jazz-Kenner und hat wunderbare Interessen in mir geweckt.« So habe man über die Jahre den Kontakt gehalten. Günther Hartmann sei für ihn und viele, die ihn kannten, der Inbegriff »eines biederen, angepassten Kleinbürgers« gewesen, so Wolfhart Schneider. »Wir Schulfreunde nannten ihn manchmal boshaft den ÝSchalterbeamtenÜ«, erinnert er sich: »Ich hielt ihn nicht im Entferntesten einer solchen Tat für fähig.«
Er sei der geborene Einsiedler gewesen. Wolfhart Schneider: »Er bestätigt das, was man kaum für möglich hält: Es gibt Menschen, die keinen Menschen brauchen.« Er charakterisiert Günther Hartmann als »selbstgenügsam, sachinteressiert und kompetent«. »Immer aber auch war er streitbar und unzufrieden, und mit dieser Einstellung war er im Grunde glücklich.«

Artikel vom 08.11.2005