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Wieder raus aus der Vitrine
Etwas Luxus im Alltag: Meissener Porzellan will benutzt werden
Wer in deutschen Wohnungen nach Familienschätzen sucht, wird meist in Vitrinen fündig. Denn dort steht Meissener Porzellan als Figur, Tasse, Kanne, Schale oder Service - oft ungenutzt.
Schon die Urgroßmutter hat es liebevoll behütet und vor Abnutzung bewahrt. Mit einem derartigen Heiligenschein versehen, blieb das Porzellan auch in den nachfolgenden Generationen häufig dem eigentlichen Zweck entfremdet.
Dabei wäre der Verlust einzelner Teile reparabel: Für alle Stücke aus der Meissener Manufaktur - auch die ganz alten - gibt es eine Nachkaufgarantie. Vorausgesetzt, das nötige Kleingeld ist vorhanden. Denn Meissener ist Luxus und kostet mitunter Tausende.
»Wir haben das beste Porzellan der Welt«, behauptet Jochen Rothauge selbstbewusst. Der 48 Jahre alte Vertriebsleiter steht in einem Schauraum der Manufaktur und lässt den Blick über Formen und Dekore schweifen. Derzeit ist Meissen dabei, den chinesischen Markt zu erobern. Die Frage nach potenziellen Absatzzahlen im Mutterland des Porzellans wehrt der Vertriebschef lächelnd ab. »Beim China-Markt denkt man nicht an Stückzahlen. Dort gibt es nur eine sehr enge Schicht von Käufern.«
Dennoch dürfte der Weg ins Reich der Mitte lohnen. Die Chinesen gelten als markenbewusst. Vor allem »Made in Germany« steht hoch im Kurs. »Besitzer von Meissener Porzellan beweisen Geschmack und Lebensart, ohne zu protzen. Meissener ist ein sehr diskretes Statussymbol. Sonst ist eine Marke immer obenauf sichtbar, bei uns muss man das Produkt erst umdrehen«, sagt die Chefin der »Freunde des Meissener Porzellans«, Susanne Träris, und zeigt auf die gekreuzten »Blauen Schwerter« - seit 1722 das Markenzeichen.
Einmal im Jahr pilgern Fans aus aller Welt zum Clubtreffen in die Stadt Meißen, die im Unterschied zum Porzellan mit »ß« geschrieben wird. Etwa 5000 Mitglieder hat der Fanclub weltweit. Die Nummer 1 trägt Sachsens Ex-Premier Kurt Biedenkopf, der als Aufsichtsratschef der Manufaktur agiert. Auch Prominente wie Loriot, Kurt Masur oder Armin Mueller-Stahl gehören zum Kreis der Porzellan-Genießer. Über limitierte Editionen werden sie zuerst informiert.
Bei vielen Clubmitgliedern hat das Porzellan die Vitrine lange verlassen. »Anfangs haben wir das hinter Glas aufbewahrt. Jetzt ist Meissener bei uns Gebrauchsgeschirr - ganz bewusst. Denn damit kommt Schönheit in das Leben. Sie macht keinen Sinn in einer Vitrine«, sagt Alessandro Ferrari aus Brescia in Italien.
Solche Kundschaft ist den Manufakturisten am liebsten. »Wir sind eine internationale Lifestyle-Marke geworden«, sagt Geschäftsführer Walter. Für junge Kundschaft hat das Unternehmen mittlerweile auch trendige Porzellane aufgelegt. Das Sushi-Geschirr ist nicht zuletzt in Japan ein Renner. »Wir erleben einen Run auf limitierte Editionen und Porzellane in vielen Kombinationsvarianten für den gedeckten Tisch. Das hat mit veränderten Lebensverhältnissen zu tun«, erklärt Rothauge. »Das klassische Kaffee-Kränzchen gibt es so nicht mehr. Heute kochen die Leute mehr miteinander.«
Dass Meissener »weißer« als andere Porzellane ist, heben Clubmitglieder immer wieder hervor. Ullrich Knüpfer, »oberster Gütekontrolleur« der Manufaktur, erklärt das wissenschaftlich. »Das Besondere am hier verwendeten Kaolin, das mit Feldspat und Quarz die Bestandteile ausmacht, ist die Reinheit.« Andere Kaoline hätten einen höheren Grad an Verunreinigungen wie Eisenoxid und Titanoxid, was zu einem gewissen Gelb- oder Blaustich führe.
Vertriebschef Rothauge sieht aber nicht nur darin den »Mythos Meissen« angelegt. Der gründe sich vor allem auf das Sortiment und die Produktionskultur. »Seit Gründung der Manufaktur 1710 gibt es im Grunde die gleiche Technologie wie heute, gleiche Farben, gleiche Formen.« Nur Technik wie die Brennöfen habe sich verändert. Dagegen sei das ästhetische Erscheinungsbild geblieben. »In einer technologisch schnelllebigen Zeit konnten wir uns als »Fossil« behaupten. Das macht einen Teil der Faszination Meissen aus.«
Zudem umfasse das Sortiment alle Stilepochen und Formen: »Meissen besitzt eine Dimension der Zeitlosigkeit«, betont der Vertriebsleiter Rothauge. Das mache es für Sammler leichter. »Unser Porzellan hat nichts Abgeschlossenes, der Mythos ist lebendig.« Jörg Schurig
www.meissen.de

Artikel vom 19.11.2005