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Pardon?«
»Deine Haare?«
»Jetzt?«
»Na ja, später bin ich zu knülle, und dann kann es passieren, daß ich dir ein Ohr abschneide!«
»Aber du hast doch nichts hier, nicht mal eine Schere.«
»Habt ihr keine Rasierklingen im Bad?«
»Eh... doch. Ich glaube, Philibert benutzt noch einen altsteinzeitlichen Säbel.«

»Was genau hast du vor?«
»Dich weicher machen.«
»Macht es dir was aus, wenn wir uns vor einen Spiegel setzen?«
»Hast du Angst? Willst du mich überwachen?«
»Nein, dich beobachten.«

Myriam dünnte ihr die Haare aus, und Camille malte die Szene.
»Darf ich das haben?«
»Nein, alles, was du willst, aber nicht das. Selbstporträts, selbst so verstümmelte wie dieses hier, behalte ich.«
»Warum?«
»Weiß nicht. Ich habe das Gefühl, wenn ich mich immer wieder male, werde ich mich irgendwann auch mal erkennen.«
»Wenn du dich im Spiegel betrachtest, erkennst du dich dann nicht?«
»Ich finde mich immer häßlich.«
»Und auf deinen Bildern?«
»Auf meinen Bildern nicht immer...«

»So ist es besser, oder?«
»Du hast mir Koteletten gemacht, wie Franck.«
»Das steht dir gut.«
»Kennst du Jean Seberg?«
»Nein, wer ist das?«
»Eine Schauspielerin. Sie hatte genau die gleiche Frisur, nur in blond.«
»Ach, wenn es das ist, ich kann dich das nächste Mal auch blond machen!«
»Sie war eine wunderschöne Frau. Sie hat mit einem meiner Lieblingsschriftsteller zusammengelebt. Und dann hat man sie eines Morgens tot in ihrem Auto aufgefunden. Wie konnte eine derart hübsche Frau den Mut aufbringen, sich selbst zu zerstören? Das ist ungerecht, oder?«
»Du hättest sie vielleicht vorher malen sollen. Damit sie sich sieht.«
»Ich war erst zwei.«
»Das ist auch so was, was Franck mir erzählt hat.«
»Daß sie sich umgebracht hat?«
»Nein, daß du haufenweise Geschichten erzählst.«
»Das liegt daran, daß ich Menschen mag. Hm... Was bin ich dir schuldig?«
»Hör auf.«
»Ich schenk dir was dafür.«
Sie kam mit einem Buch zurück.
»König Salomons Ängste. Ist das gut?«
»Besser als gut. Willst du ihn nicht noch mal anrufen, ich mach mir doch irgendwie Sorgen. Vielleicht hatte er einen Unfall?«
»Pff... Mach dir keinen Kopf. Der hat mich bestimmt nur vergessen. Allmählich gewöhn ich mich daran.«
»Warum bleibst du dann mit ihm zusammen?«
»Um nicht allein zu sein.«

Sie hatten schon die zweite Flasche aufgemacht, als er seinen Helm absetzte.
»He, was treibt ihr denn hier?«
»Wir ziehen uns einen Pornofilm rein«, gackerten sie. »Den haben wir in deinem Zimmer gefunden.«
»He, was soll der Blödsinn? Ich hab überhaupt keine Pornos!«
»Nicht? Komisch. Dann hat ihn vielleicht jemand in deinem Zimmer vergessen«, spottete Camille.
»Oder aber du hast dich geirrt«, fügte Myriam hinzu, »vielleicht wolltest du Die fabelhafte Welt der Amélie und hast statt dessen den hier gegriffen...«
»Was ist denn das für ein Zeug?« Er starrte auf den Bildschirm, während sie noch lauter prusteten. »Ihr seid ja total breit!«
»Stimmt«, gaben sie beschämt zu.
»He!« sagte Camille, als er brummelnd aus dem Wohnzimmer ging.
»Was denn noch?«
»Willst du deiner Verlobten nicht zeigen, wie schön du dich heute gemacht hast?«
»Nein. Geht mir nicht auf die Eier.«
»Och, bitte«, flehte Myriam, »zeig mal, Hasilein!«
»Einen Striptease«, meinte Camille.
»Nackt«, bekräftigte die andere.
»Striptease! Striptease! Striptease!« wiederholten sie im Chor.

Er schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen. Er versuchte, entrüstet auszusehen, schaffte es aber nicht. Er war tot. Er wollte sich am liebsten aufs Bett fallen lassen und eine Woche lang schlafen.
»Striptease! Striptease! Striptease!«
»Na schön. Ihr habt es so gewollt. Macht den Fernseher aus und zückt schon mal die Scheinchen, ihr Süßen.«

Er legte Sexual Healing auf und fing mit seinen Motorradhandschuhen an.

Und als der Refrain kam,
get up, get up, get up, letÕs make love tonight
wake up, wake up, wake up, cause you douuu it right,
löste er auf einen Schlag die drei letzten Knöpfe an seinem gelben Hemd und schwang es mit einem gekonnten Travolta-Hüftschwung über seinem Kopf.

Die Ladies trampelten mit den Füßen und bogen sich vor Lachen.

Nun war ihm nur noch die Hose geblieben, er drehte sich um und ließ sie langsam zu Boden gleiten, half noch ein bißchen mit der Hüfte nach, zur einen, dann zur anderen Seite, und als sein Slipansatz zu sehen war, ein breites Gummi, auf dem DIM DIM DIM stand, drehte er sich zu Camille um und zwinkerte ihr zu. In dem Moment war das Lied zu Ende, und rasch zog er seine Hose wieder hoch.
»Okay, jetzt ist Schluß mit euren Albernheiten, ich geh in die Falle.«
»Ach...«
»Was für ein Jammer.«

»Ich habe Hunger«, sagte Camille.
»Ich auch.«
»Franck, wir haben Hunger.«
»Tja, die Küche ist in diese Richtung, immer geradeaus und dann links.«

Kurze Zeit später kam er in Philiberts schottischem Morgenmantel zurück.
»Na? Eßt ihr gar nix?«
»Nein, dann halt nicht. Dann sterben wir lieber. Ein Chippendale, der sich wieder anzieht, ein Koch, der nicht kocht, heute abend haben wir wirklich kein Glück...«
»Na gut«, seufzte er, »was wollt ihr? Süß oder salzig?«

»Mmmm, lecker.«
»Das sind nur Nudeln«, antwortete er bescheiden, wobei er die Stimme von Don Patillo aus der Werbung imitierte.
»Was hast du denn da alles reingetan?«
»Na ja, ein paar Kleinigkeiten.«
»Himmlisch«, wiederholte Camille. »Und zum Nachtisch?«
»Flambierte Bananen. Sie müssen entschuldigen, die Damen, aber ich mußte mit den Bordmitteln vorliebnehmen. Na ja, ihr werdet sehen. Der Rum ist kein Old Nick aus dem Supermarkt, damit ihrÕs wißt!«
»Mmmm«, wiederholten sie noch mal und leckten ihre Teller sauber, »und jetzt?«
»Jetzt gehtÕs ins Heiabettchen, und für diejenigen, die es interessiert, mein Zimmer ist dort hinten rechts.«

Sie tranken statt dessen einen Kräutertee und rauchten eine letzte Zigarette, während Franck auf dem Kanapee einnickte.
»Mensch, was ist er schön, unser Don Juan, mit seinem Healing, seinem sexuellen Balsam«, quietschte Camille.
»Ja, du hast recht, er ist klasse.«
Er lächelte in seinem halbkomatösen Zustand und legte einen Finger an die Lippen, damit sie den Mund hielten.

Als Camille das Badezimmer betrat, waren Franck und Myriam schon da. Sie waren zu müde, um Bitte-nach-Ihnen-meine-Liebe zu spielen, und Camille schnappte sich ihre Zahnbürste, während Myriam die ihre wieder einpackte und ihr eine gute Nacht wünschte.
Franck hing über dem Waschbecken und spuckte seine Zahnpasta aus. Als er hochsah, trafen sich ihre Blicke.
»Hat sie das gemacht?«
»Ja.«
»Sieht gut aus.«

Sie lächelten ihr Spiegelbild an, und diese halbe Sekunde währte länger als sonst.

»Kann ich dein graues Trägerhemd anziehen?« kam Myriams Stimme aus seinem Zimmer.

Er putzte sich energisch die Zähne und wandte sich von neuem an das Mädchen im Spiegel, wobei er sich das ganze Kinn mit Zahnpasta verschmierte:
»Echisschiemlichblödawwerichwürdlibermiddirschlafen...«
»Pardon?« fragte sie stirnrunzelnd.
Er spuckte wieder aus:
»Ich hab gesagt: Es ist ziemlich blöd, wenn man kein Tier zum Schlafen hat.«
»Ach so«, sagte sie lächelnd, »ja, das ist blöd. Wirklich.«

Sie drehte sich zu ihm um:
»Hör zu, Franck, ich muß dir was sagen. Gestern habe ich dir gestanden, daß ich mich nicht an meine guten Vorsätze halte, aber einen würde ich gern mit dir zusammen fassen und halten.«
»Sollen wir aufhören zu trinken?!«
»Nein.«
»Zu rauchen?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Ich will, daß du diese kleinen Spielchen läßt.«
»Was für Spielchen?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 25.11.2005