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Stummfilmklassiker mit innovativer Live-Musik

Spektakuläre Eröffnung des Film- und Musikfestes

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Vom Insider-Tipp zum Publikumsmagneten: Das Film- und Musikfest der Friedrich Wilhelm Murnau-Gesellschaft hat sich im Laufe der Jahre zum leuchtenden Fixstern entwickelt, der weit über den Bielefelder Kulturhimmel hinausstrahlt. Zur 16. Auflage gab es nicht nur ein dickes Kompliment von Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, sondern auch die Zusage auf weitere »Bonbons«, sprich Fördergelder.

Ohne Finanzspritzen, Kooperationspartner und das unermüdliche ehrenamtliche Engagement der Murnau-Gesellschaft rund um ihre Vorsitzende Christiane Heuwinkel wäre das ehrgeizige Projekt wohl kaum zu stemmen. Mit seinen sieben Stummfilmen - ĂŠKlassikern und cinematografischen Entdeckungen zum Thema »Metropolen« - und den innovativen Neukompositionen zieht das Film- und Musikfest die Massen in die Oetkerhalle und ins Astoria-Kino.
Der Festivalcharakter ist der Veranstaltungsreihe nicht mehr abzusprechen. In den vergangenen Jahren kontinuierlich verwöhnt durch gleichermaßen geniale wie abwechslungsreiche Filmmusiken, verdient das Fest allein schon deshalb eine gesonderte Beachtung. Daneben verblüfft immer wieder, wie unterhaltsam, gesellschaftskritisch oder auch zukunftsweisend-visionär die Filmemacher der 20er Jahre ihre Themen in Szene gesetzt haben.
Etwa Ernst Lubitsch, der 1926 mit seiner Seitensprungkomödie »So this is Paris« bürgerliche Doppelmoral und vermeintlich lockeres Bohemeleben auf humorvolle Art entlarvte. Kammerspielartig führt er die zwischenmenschlichen Konstellationen mit ungelebten Träumen und Lügen vor und stellt sie in beschwingten Massenszenen dem gelebten Rausch gegenüber. Im Kaleidoskop aus Täuschungsmanövern, falschen Identitäten und Freudscher Symbolik agieren seine Darsteller dennoch mit beschwipster Leichtigkeit.
Helmut Imig, der sich über die vergangenen Jahre hinweg einen Namen als Spezialist für Stummfilmmusik gemacht hat, glänzte beim Eröffnungsklassiker nicht mit einer Neukomposition, sondern mit geschickter Kompilation. Imigs Zitatesammlung kommentierte und illustrierte auf tiefsinnig und humorvolle Art die gutgelaunte Parodie auf tanzende Scheichs und Möchtegern-Frauentauscher. Ein Hörgenuss, der von den Bielefelder Philharmonikern nicht nur präzisionsfunkelnd und punktgenau umgesetzt wurde, sondern der auch immer wieder zum musikalischen Rätselraten einlud.
Nach beschwingt-unterhaltsamem Entree führte Fritz Langs »Metropolis« am Folgeabend in die lichtlose Unterstadt der Arbeitersklaven und die im Luxus schwelgende Stadt der Herrenmenschen. Langs Negativ-Utopie einer Klassengesellschaft, mit gigantischem Aufwand monumental in Szene gesetzt, ist ein Kolossalfilm, dem es an nichts mangelt: Ein Vater-Sohn-Konflikt, eine sentimentale Liebesgeschichte, Katastrophen-Szenen und vieles mehr fesseln den Zuschauer über zweieinhalb Stunden.
Für das musikalische »Fesselprogramm« sorgten nicht nur die Bielefelder Knebelchöre« mit ihrem Esperanto-Gesang, sondern die von Rolf Sudmann komponierte Filmmusik, die so manches Mal in ironische Distanz zum Filmgeschehen und seinen vermeintlichen Helden trat. Sudmann schuf für die technisierte Welt eine perkussionsreiche Klang-Geräusch-Kulisse, die sich stark am Takt der Maschinen orientierte. Zwei C-Melodie-Saxophone und der Einsatz eines so exotischen Instruments wie des Mixtur-Trautoniums illustrieren Stimmungen, verstärken oder relativieren sie immer wieder. Komische und schaurige Elemente wurden im experimentellen Klanggeflecht aus Atmen, Sprechen, Singen und Spielen zu einem aufregenden Hörabenteuer zusammengestellt und sorgten bisweilen für neue Sichtweisen auf einen Filmklassiker. Innovativer ist Filmmusik kaum zu denken.

Artikel vom 07.11.2005