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Sag Ýja, ChefÜ«, flüsterte er ihr zu.
»Ja, Chef!«
»Das schaff ich nie«, jammerte Camille.
»Du machst einfach eins nach dem anderen.«
»Links oder rechts?«
»Links, das macht mehr Sinn.«
»Ein bißchen sehr niedlich, oder?«
»Nee, das ist witzig. Du hast jetzt sowieso keine Wahl mehr.«
»Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Prinzip Nummer eins. Wenigstens das hättest du gelernt. Hier, das ist der richtige Saft.«
»Warum ist der rot?«
»Der ist aus Rote Bete. Fang an, ich reich dir die Teller.«

Sie tauschten die Plätze. Sie zeichnete, er schnitt den Block Gänseleber, verteilte ihn, bestreute ihn mit grob geschrotetem Pfeffer und Salz und reichte den Teller einem Dritten, der fachmännisch den Salat anordnete.
»Was machen die anderen?«
»Die gehen essen. Wir essen später. Wir eröffnen den Ball und gehen nach unten, wenn sie dran sind. Hilfst du mir auch mit den Austern?«
»Müssen wir sie öffnen?!«
»Nein, nein, nur anhübschen. Sag mal, hast du die grünen Äpfel geschält?«
»Ja. Die sind hier. Oh Scheiße! Das ist wohl eher ein Puter geworden.«
»Pardon. Ich laß dich jetzt in Ruhe.«
Franck kam bei ihnen vorbei und runzelte die Stirn. Er fand sie reichlich undiszipliniert. Oder reichlich fröhlich.
Das gefiel ihm nicht so recht.
»Ist die Stimmung gut?« fragte er spöttisch.
»Man tut, was man kann.«
»Sag mal, das wird doch nicht etwa aufgewärmt?«

»Warum sagt er das?«
»Vergiß es, das ist was zwischen uns... Wer sich ums warme Essen kümmert, bildet sich ein, mit einer höheren Mission betraut zu sein, während wir hier immer von oben herab behandelt werden, und wenn wir uns noch so sehr ins Zeug legen. Wehe, wir nähern uns auch nur dem Feuer. Kennst du den Lestafier gut?«
»Nein.«
»Ah ja, hätte mich auch gewundert.«
»Warum?«
»Nur so.«

Während die anderen essen waren, wischten zwei Schwarze mit Unmengen Wasser den Boden und gingen mehrmals mit Schiebern drüber, um ihn so schnell wie möglich wieder zu trocknen. Der Chef unterhielt sich mit einem hocheleganten Typ in seinem Büro.
»Ist das ein Gast?«
»Nein, das ist der Oberkellner.«
»Nein, der ist ja schick.«
»Im Saal sehen sie alle gut aus. BevorÕs losgeht, sind wir die Sauberen, und sie jagen im T-Shirt noch den Staubsauger über den Boden, aber je später es wird, um so mehr kippt das Ganze: Unsereiner stinkt, wird immer schmuddeliger, und sie stolzieren wie die Pfauen mit ihren Fönfrisuren und ihren tadellosen Anzügen durch die Gegend.«

Franck kam vorbei, als sie die letzten Teller garnierte:
»Du kannst jetzt los, wenn du willst.«
»Ach, nö. Ich hab jetzt keine Lust mehr zu gehen. Ich hätte das Gefühl, die Show zu verpassen.«
»Hast du noch was für sie zu tun?«
»Und ob! So viel sie will! Sie kann den Dauerbrenner übernehmen.«
»Was ist das?« fragte Camille.
»Das ist dieses Teil hier, so eine Art Bratrost, der hoch- und runtergeht. Willst du dich um die Toasts kümmern?«
»Kein Problem. Eh... kann ich zwischendurch mal eine qualmen?«
»Nur zu, du kannst nach unten gehen.«
Franck kam mit.
»Alles in Ordnung?«
»Super. Dieser Sébastien ist ja doch ganz nett.«
»Jaaa...«
»...«
»Warum machst du so ein Gesicht?«
»Weil... Ich wollte vorhin mit Philibert sprechen, um ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen, und mußte mich von irgendeiner Rotznase abkanzeln lassen.«
»Warte, ich ruf ihn an.«
»Nein. Die sind um diese Zeit bestimmt wieder bei Tisch.«
»Laß mich nur machen.«

»Hallo... Entschuldigen Sie bitte die Stööörung, Franck de Lestafier am Apparat, der Mitbewohner von Philibert... Ja... So ist es... Guten Tag... Dürfte ich ihn bitte persööönlich sprechen, es geht um den Heißwasserboiler... Ja... Genau... auf WiederhööörÕn.«

Er zwinkerte Camille zu, die lachte und den Rauch ausstieß.

»Philou! Bist duÕs, Häschen? Ein frohes neues Jahr, Alter! Ich geb dir kein Küßchen, sondern deine kleine Prinzessin. Was? Ach, der Heißwasserboiler interessiert uns nicht die Bohne! Also, frohes neues Jahr, gute Gesundheit und viele Küßchen an deine Schwestern. Aber nur die mit großen Titten, klar?«

Camille nahm den Hörer und kniff die Augen zusammen. Nein, der Heißwasserboiler war in Ordnung. Ja, ich Sie auch. Nein, Franck hatte sie nicht in einen Schrank gesperrt. Ja, sie dachte auch ganz oft an ihn. Nein, sie war noch nicht zur Blutuntersuchung. Ja, Ihnen auch, Philibert, ich wünsche Ihnen alles Gute.
»Er klang gut, oder?« fügte Franck hinzu.
»Er hat nur achtmal gestottert.«
»Sag ich doch.«

Als sie wieder auf ihre Plätze zurückkehrten, drehte sich der Wind. Diejenigen, die ihre Kochmütze noch nicht aufgesetzt hatten, holten dies jetzt nach, und der Chef stützte seinen Bauch auf die Durchreiche und verschränkte die Arme darauf. Es war mucksmäuschenstill.
»An die Arbeit, meine Herren.«

Es war, als erhitzte sich der Raum um ein Grad pro Sekunde. Alle rannten geschäftig hin und her und waren darauf bedacht, niemandem im Weg zu stehen. Die Gesichter waren angespannt. Hier und da waren halb unterdrückte Flüche zu hören. Manche blieben eher ruhig, andere, wie dieser Japaner hier, schienen kurz vor der Implosion zu stehen.

Die Ober warteten in einer langen Schlange vor der Durchreiche, während sich der Chef über jeden Teller beugte und ihn genauestens prüfte. Der Junge ihm gegenüber hatte ein winziges Schwämmchen in der Hand, um etwaige Fingerabdrücke oder Soßenspuren abzuwischen, und sobald der Dicke nickte, nahm ein Ober das große Silbertablett mit zusammengebissenen Zähnen auf.
Camille kümmerte sich mit Marc um die Appetithäppchen. Sie arrangierte irgendwelche Zutaten auf Tellern, kleine Scheibchen oder Schalen von irgendwas Rötlichem. Sie traute sich nicht, noch mehr Fragen zu stellen. Anschließend verteilte sie Schnittlauchhalme.
»Schneller, wir haben heut abend nicht die Zeit, an jedem einzelnen Ding rumzubasteln.«
Sie suchte sich eine Schnur, um ihre Hose hochzubinden, und fluchte, weil ihr die Kochmütze ständig in die Augen rutschte. Ihr Kollege holte eine kleine Klammer aus seinem Messerkoffer:
»Hier.«
»Danke.«
Dann lauschte sie einem Ober, der ihr erklärte, wie man das leicht gesüßte Hefebrot zu Dreiecken toastete und die Ränder abschnitt:
»Wie stark sollen sie denn getoastet sein?«
»Tja, goldbraun halt.«
»Komm, mach mir mal eins vor. Zeig mir genau die Farbe, die du haben willst.«
»Die Farbe, die Farbe. Das sieht man doch nicht an der Farbe, das hat man im Gefühl.«
»Schön, aber ich funktionier halt mal mit Farben, also mach mir eins vor, sonst streßt mich das zu sehr.«

Sie nahm ihre Mission sehr ernst und ließ sich bei keiner Nachlässigkeit ertappen. Die Kellner holten sich ihre Toasts und ließen sie in eine Serviettenfalte rutschen. Sie hätte gerne ein kleines Kompliment gehört: »Mensch, Camille, was für herrliche Toasts du uns machst!« Aber nun gut...

Franck sah sie nur von hinten, er hantierte am Herd wie ein Schlagzeuger an seinem Instrument: ein Deckel hier, ein Deckel da, ein Löffelchen hier, ein Löffelchen da. Der große Hagere, der Zweite, nach allem, was sie verstanden hatte, stellte ihm unablässig Fragen, auf die er nur selten und lautmalerisch antwortete. Seine Töpfe waren alle aus Kupfer, und er mußte ein Geschirrtuch zur Hilfe nehmen, um sie anzufassen. Er schien sich mehrmals zu verbrennen, denn sie sah, wie er die Hand schüttelte und sie dann zum Mund führte.

Der Chef war erregt. Es ging ihm nicht schnell genug. Es ging ihm zu schnell. Es war nicht heiß genug. Es war verkocht. »Konzentration, meine Herren, Konzentration!« wiederholte er unaufhörlich.
Je ruhiger es bei ihnen wurde, um so mehr wurde gegenüber rangeklotzt. Es war beeindruckend. Sie sah, wie sie schwitzten und sich wie Katzen den Kopf an der Schulter abrieben, um sich die Stirn zu trocknen. Vor allem der Typ am Grill war feuerrot und nuckelte ständig an einer Wasserflasche, wenn er zwischen seinen Vögeln hin- und herlief. (Viechern mit Flügeln, manche deutlich kleiner als ein Hähnchen, andere doppelt so groß.)

»Hier vergeht man ja... Wie heiß ist es hier, was meinst du?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.11.2005