16.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Die dicke Margarete verschmäht ihn, sie geht sogar so weit, das Porträt abzulehnen, das er extra für sie von ihrem Vater angefertigt hat, die dumme Nuß. Also tauscht er es gegen ein Bettlaken! Außerdem kehrt er krank zurück, eine fiese Geschichte, die er sich ausgerechnet bei seinem Abstecher zu dem Wal eingefangen hat. Sumpffieber, glaube ich. Ach übrigens, hier ist eine Maschine frei geworden.«
Seufzend stand er auf.
»Dreh dich um, ich will nicht, daß du meine Unterwäsche siehst.«
»Ach, die brauch ich nicht zu sehen, um sie mir vorstellen zu können. Philibert geht bestimmt in Richtung gestreifte Unterhosen, aber du trägst sicher diese kleinen hautengen Dinger von Hom, bei denen auf dem Bund was draufsteht.«
»Du bist ganz schön gut. Los, guck wenigstens nach unten.«

Er machte sich an der Maschine zu schaffen, nahm seine halbvolle Flasche Waschmittel und stützte sich mit den Ellbogen auf die Maschine:
»Das heißt, so gut bist du nun auch wieder nicht. Sonst würdest du nicht putzen gehen, du würdest es machen wie der Typ da. Du würdest arbeiten...«
Stille.
»Hast recht. Ich bin nur gut bei Unterhosen.«
»Was ja schon mal nicht schlecht ist, oder?! Vielleicht ist das eine Marktlücke. Übrigens, hast du am 31. schon was vor?«
»Willst du mich zu einer Fete einladen?«
»Nee. Zum Arbeiten.«

16. Kapitel
Warum nicht?«
»Weil ich das nicht kann!«
»Moment mal, es verlangt ja keiner von dir, daß du kochst! Du sollst bloß ein bißchen beim Mise en Place helfen.«
»Was ist denn das Mise en Place?«
»Das ist alles, was man vorher vorbereitet, um Zeit zu sparen, wennÕs rundgeht.«
»Und was müßte ich da machen?«
»Maronen schälen, Pfifferlinge putzen, Trauben enthäuten und entkernen, Salat waschen. Na ja, haufenweise idiotisches Zeug.«
»Ich bin nicht mal sicher, ob ich das kann.«
»Ich zeig dir alles, ich erklärÕs dir.«
»Dazu hast du doch gar nicht die Zeit.«
»Nein. Deshalb werd ich dich vorher briefen. Ich bring morgen etwas Übungsmaterial mit und bilde dich in meiner Pause aus.«
»...«
»Komm schon! Es wird dir guttun, unter Leute zu kommen. Wo du nur mit Toten lebst und mit Typen redest, die nicht mehr da sind. Du bist ständig allein. Ist doch ganz normal, daß du nicht richtig tickst.«
»Ich tick nicht richtig?«
»Nee.«

»Hör zu. Du tust mir damit einen Gefallen. Ich hab meinem Chef versprochen, daß ich jemanden finde, der uns hilft, und ich finde niemanden. Ich sitz in der Klemme.«
»...«
»Komm schon, gib dir einen Ruck. Danach verdrück ich mich, und du siehst mich nie mehr wieder.«
»Ich bin zu einer Fete eingeladen.«
»Wann mußt du da sein?«
»Ich weiß nicht, gegen zehn.«
»Kein Problem. Das schaffst du. Ich zahl dir das Taxi.«
»Na gut.«
»Danke. Dreh dich noch mal um, meine Wäsche ist trocken.«
»Ich muß sowieso los. Bin schon spät dran.«
»Okay, bis morgen.«

»Schläfst du heut nacht hier?«
»Nein.«

»Bist du enttäuscht?«
»Oh Mann, was bist du aber auch plump.«
»Moment, ich sag das deinetwegen! Es könnte nämlich sein, daß du mit den Slips doch nicht so ganz recht hast, weißt du?«
»Wenn du wüßtest, wie egal mir deine Slips sind!«
»Dein Pech.«

17. Kapitel
Wollen wir?«
»Nur zu. Was ist das?«
»Was denn?«
»Der Koffer?«
»Ach so. Das ist mein Messer-Set. Meine Pinsel, wenn du so willst. Wenn ich die nicht hätte, wär ich zu nix zu gebrauchen«, seufzte er. »Siehst du, woraus mein Leben besteht? Aus einem alten Kasten, der schlecht schließt.«
»Seit wann hast du den?«
»Pff... Seit ich so groß bin. Meine Omi hat ihn mir gekauft, als ich meine Lehre angefangen hab.«
»Darf ich mal?«
»Nur zu.«
»Erzähl mir mehr.«
»Wovon?«
»Wozu die gut sind. Ich lerne gern.«
»Also, das große ist das Küchenmesser oder das Kochmesser, das nimmt man für alles, das viereckige ist für die Knochen, die Knorpel oder um das Fleisch zu klopfen, das ganz kleine ist das Officemesser, das findet man in jeder Küche, nimm schon mal, das wirst du gleich brauchen. Das lange hier nimmt man, um Gemüse zu schneiden und kleinzuhacken, das kleine ist zum Wegschneiden von Nerven, zum Zuschneiden von Fleisch und zum Entfernen von Haut, Fett und Sehnen, und die Zwillingsausgabe mit der festen Klinge ist zum Entbeinen, das ganz dün-ne zum Filetieren von Fisch, und das letzte ist das Schinkenmesser...«
»Und das hier ist zum Wetzen.«
»Yes.«
»Und das hier?«
»Das ist nix... Das ist nur für die Deko, aber das benutz ich schon lange nicht mehr.«
»Was macht man damit?«
»Kleine Wunderwerke. Das zeig ich dir ein andermal. Gut, bist du bereit?«
»Ja.«
»Sieh genau hin, ja? Maronen, das sag ich dir gleich, sind total fies. Die hier hab ich schon in kochendes Wasser getaucht, die sind also leichter zu schälen, normal halt. Du darfst sie auf keinen Fall beschädigen. Ihre Maserung muß intakt bleiben und gut sichtbar sein. Nach der Schale kommt dieses Wattezeug hier, das mußt du ganz vorsichtig abziehen.«
»Das dauert ja irre lang!«
»Eben! Das ist genau der Grund, weshalb wir dich brauchen.«

Er war geduldig. Anschließend erklärte er ihr, wie man mit einem feuchten Handtuch Pfifferlinge putzt und wie man die Erde abrubbelt, ohne sie zu beschädigen.
Es machte ihr Spaß. Sie war handwerklich geschickt. Es machte sie rasend, daß sie so viel langsamer war als er, aber es machte ihr Spaß. Die Trauben kullerten ihr durch die Finger, doch sie hatte schnell den Trick raus, wie man sie mit der Messerspitze entkernt.

»Okay, den Rest sehen wir morgen. Der Salat und das andere müßte gehen.«
»Dein Chef wird gleich merken, daß ich nichts kann.«
»Das ist klar! Aber was soll er machen? Was für eine Kleidergröße hast du?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich besorg dir Hose und Jacke. Und deine Schuhgröße?«
»40.«
»Hast du Turnschuhe?«
»Ja.«
»Die sind zwar nicht ideal, aber für dieses eine Mal sind die okay.«

Sie drehte sich eine Zigarette, während er die Küche aufräumte.
»Wo ist deine Fete?«
»In Bobigny. Bei einer Kollegin von mir.«
»Es macht dir nichts aus, morgen früh um neun anzufangen?«
»Nein.«
»Ich warn dich schon mal vor, es gibt nur eine kleine Pause. Eine Stunde höchstens. Wir haben morgen keinen Mittagstisch, aber am Abend mehr als sechzig Gedecke. Ein Degustationsmenü für alle. Das wird was geben. Zweihundertzwanzig Euro pro Nase, glaub ich. Ich will versuchen, dich so früh wie möglich loszueisen, aber ich denke, daß du mindestens bis acht Uhr bleiben mußt.«
»Und du?«
»Pff... Daran will ich lieber gar nicht denken. Silvester ist immer eine Strafe. Aber na ja, es ist gut bezahlt. Ich werd übrigens auch für dich richtig was rausschlagen.«
»Ach, das ist nicht das Thema.«
»Doch, doch, das ist das Thema. Das wirst du morgen abend sehen.«

18. Kapitel
Wir müssen los. Kaffee kriegen wir dort.«
»Aber ich ertrinke ja in der Hose!«
»Macht nix.«

Sie überquerten im Laufschritt den Champ-de-Mars.

Camille war überrascht über das emsige, konzentrierte Treiben, das bereits in der Küche herrschte.
Es war plötzlich so heiß.
»Hier Chef. Ein kleiner Gehilfe, taufrisch.«
Der Chef brummte etwas und scheuchte sie mit dem Handrücken weg. Franck stellte sie einem großen Kerl vor, der noch nicht richtig wach war:
»Also, das hier ist Sébastien. Der ist für die kalte Küche zuständig und heute auch dein Chef de partie und dein big boss, okay?«
»Erfreut.«
»Mmmm.«
»Mit ihm hast du aber gar nichts zu tun, sondern mit seinem Gehilfen.«
Er wandte sich an den Kerl:
»Wie heißt er noch?«
»Marc.«
»Ist er da?«
»In den Kühlräumen.«
»Gut, ich überlaß sie dir.«
»Was kann sie?«
»Nix. Aber du wirst sehen, das macht sie gut.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.11.2005