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Merkel hat auch ohne
Stoiber Probleme genug

In der Union geht das Grollen weiter - Wulff-Kritik

Berlin (dpa). Vor der Woche der Entscheidung ließ sich die designierte Kanzlerin nicht in die Karten schauen. Nach den turbulenten Tagen in Berlin, in denen die Reihen der künftigen Regierungsparteien von Union und SPD heftig durcheinander gewirbelt worden waren, hüllte sich Angela Merkel - die einzige Unbeschädigte im Kreis der drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD - zum Stand der Verhandlungen in Schweigen.

Noch mehr als bisher steht Merkel nun im Mittelpunkt der Koalitionsverhandlungen. Das gilt vor allem für die Union. Nach dem Abschied des CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber von Berlin wird der bayerische Ministerpräsident zwar weiterhin an den Spitzenrunden mit SPD-Chef Franz Müntefering, dessen voraussichtlichen Nachfolger Matthias Platzeck und Noch-Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) teilnehmen, von denen es in dieser Woche einige geben wird.
Das Gewicht des Bayern, so die einhellige Meinung in der Union, ist durch seine überraschende Rückkehr-Aktion auch in den eigenen Reihen so sehr geschwächt, dass er kaum noch die Richtungen vorgeben können wird. Zwar meldete sich am Samstag die CSU in München mit einer Liste von Negativ-Forderungen zu Wort. So wollen die Christsozialen keine »Reichensteuer« und keine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 20 Prozent akzeptieren. Das erschien aber eher als Versuch der CSU, angesichts der einsetzenden Debatte über die Zukunft von Stoiber in Bayern überhaupt noch einen Fuß in den Koalitionsverhandlungen zu behalten.
Das heißt nicht, dass Merkel als Kanzlerin auf devotes Verhalten der Bayern hoffen kann. Gewänne Stoiber in der Heimat wieder Boden unter den Füßen, könnte er ein gehöriges Störpotenzial in einer großen Koalition darstellen, sagen nicht wenige in der Fraktion. Dabei rechnet man in der CDU-Führung noch nicht einmal mit öffentlichen Querschüssen in Form von Dauerfeuer. Stoiber könnte aber über den Bundesrat immer wieder seine verbleibende Macht ausspielen, mutmaßt ein hoher CDU-Mann.
Ohnehin wird die Riege der Unions-Ministerpräsidenten Merkel noch so manches Mal Schwierigkeiten bereiten. Das könnte ähnlich werden wie in den vergangenen Jahren, als Merkel Oppositionschefin war und als immer wieder der eine oder andere opponierte. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff zeigte sich vor den Tagen, an denen es in den Koalitionsverhandlungen zum Schwur kommt, jedenfalls schon einmal unzufrieden mit den bisherigen Ergebnissen. »Das können wir so nicht akzeptieren«, schäumte der CDU-Vize. Nach außen wird Wulff seine Äußerungen als Drohung an die SPD verstanden wissen wollen. In der CDU könnten aber auch andere Schlussfolgerungen gezogen werden, da die Gespräche wesentlich von Merkel geleitet wurden.
Hingegen wird Hessens Ministerpräsident Roland Koch zunehmend zur Stütze Merkels. Lange hatten sich beide beäugt. Dem Hessen waren immer wieder eigene Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur nachgesagt worden. Jetzt, da Merkel kurz vor der Kanzlerschaft steht, verhält er sich äußerst loyal zur Vorsitzenden, wie Merkel-Vertraute sagen.
In dieser Woche wird es auf die designierte Kanzlerin ankommen. Neu ist die Situation für Merkel nicht. Auch im Dezember 2003, als im Vermittlungsausschuss mit der Agenda 2010 die Reformgesetze von Schröder in mehreren Nachtsitzungen verhandelt wurden, musste sie die unterschiedlichsten Interessen des eigenen Lagers mit den Vorstellungen der SPD irgendwie in Übereinstimmung bringen. Damals war das Merkel nach übereinstimmender Ansicht geglückt. In den nächsten Tagen ist der Verhandlungsstoff aber noch schwieriger.

Artikel vom 07.11.2005